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Umkämpfte US-GesundheitsreformDr. Obamas Notoperation

Im Kampf um eine Krankenversicherung für alle Amerikaner erwägt Präsident Obama einen Rückzieher: Statt einer staatlichen Versicherung prüft er ein genossenschaftliches Modell.

Fast überall in den USA demonstrieren Befürworter und Gegner der Gesundheitsreform - manche werden handgreiflich, andere stellen lieber Plakate an Straßen auf. Bild: ap

WASHINGTON taz | In der äußerst emotional geführten Debatte über die Reform des Gesundheitssystems in den Vereinigten Staaten signalisiert US-Präsident Barack Obama Kompromissbereitschaft. Es sei denkbar, die Reform auch ohne die sogenannte staatliche Option duchzuführen, sagte Obama während eines Treffens im US-Bundesstaat Colorado.

Die ursprünglich von Obama vorgeschlagene "staatliche Option" hatte sich in den vergangenen Wochen zum Zankapfel entwickelt. Demnach würde eine staatliche Krankenversicherung, ähnlich wie das bereits existierende staatliche US-Medicare-Programm, in Konkurrenz zu privaten Krankenversicherungen treten. Experten meinen, dass es im US-Gesundheitswesen nur noch dem Staat gelingen könne, die Kosten zu deckeln.

Gesundheitsministerin Kathleen Sebelius trat mit der Botschaft, ein Kompromiss sei möglich, am Sonntag vor die TV-Kameras. Obama sei bereit auf eine neue staatliche Krankenversicherung zu verzichten und könnte sich stattdessen dem vom US-Senat vorgeschlagenen Genossenschaftsmodell anschließen, erklärte Sebelius. Zwar sei der Präsident weiterhin dafür, den Bürgern Alternativen anzubieten, sagte Sebelius in einem Interview mit dem Fernsehsender CNN. Aber letztendlich sei es wichtiger, mehr Auswahlmöglichkeiten und Wettbewerb zu schaffen, als an institutionellen Formen festzuhalten.

Dieser Rückzieher der Obama-Administration ist zwar ein deutlicher Sieg der Versicherungslobby. Gleichzeitig könnte es Obama mit diesem Einlenken gelingen, den geradezu militanten Widerstand der Republikaner gegen seine Reformpläne zu brechen. "Für die staatliche Option fehlen Obama einfach die Stimmen im US-Senat", sagte der demokratische Senator Kent Conrad am Sonntag, der auch Vorsitzender des Haushaltsausschusses und einer der Hauptverhandlungsführer in dieser Frage ist.

Der Plan sieht eine staatliche Anschubfinanzierung von drei bis vier Milliarden Dollar für genossenschaftlich organisierte Versicherungsgesellschaften vor. Sie würden unter einem bundeseinheitlichen Dach stehen mit Filialen in den Einzelstaaten, aber wären unabhängig von staatlichem Einfluss. Das Non-Profit-Genossenschaftsmodell wird unter Abgeordneten schon seit Monaten diskutiert. Conrad entwarf es nach dem Modell von Agrargenossenschaften in seinem Heimatstaat North Dakota.

Obwohl Obamas Kompromissbereitschaft bereits am Wochende die Zustimmung einiger Republikaner erhielt, könnte ihn sein erneut unter Beweis gestellter Pragmatismus im liberal-progressiven Lager Sympathie kosten. "Wenn er keine staatliche Option will, soll er es einfach lassen", schimpfte am Montag Howard Dean, ehemaliger Chef der Demokratischen Partei und selbst Arzt. "Nur eine staatliche Option kann die Ziele der Reform durchsetzten, nämlich allen eine bezahlbare Krankenversicherung anzubieten", sagte der Demokrat Senator John Rockefeller. Das Genossenschaftsmodell werde nicht imstande sein, die Kosten so drastisch zu deckeln, wie eine staatliche Versicherung es könnte.

Gegenwärtig sind geschätzte 47 Millionen US-AmerikanerInnen nicht krankenversichert. Zudem verlieren täglich rund 14.000 Menschen ihre Gesundheitsversicherung aufgrund der Rezession. Im Unterschied zu anderen Industriestaaten gibt es in den Vereinigten Staaten keine allgemeine Krankenversicherung. Gegenwärtig arbeitet das Repräsentantenhaus daran, die drei verschiedenen Gesetzentwürfe zur Reform zu harmonisieren. Laut Angaben von Beobachtern könnte es frühestens Ende September zu einer Abstimmung im Kongress kommen.

Obamas Kompromissbereitschaft könnte für Sympathieverluste im liberal-progressiven Lager sorgen

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12 Kommentare

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  • M
    Michael

    Also die USA haben kein Zweiparteinsystem...Der Wahlkampf ist Show....Obama ist die auframerikanische Marionette die die Leute die die Pfaeden ziehen brauchten damit uberhaupt jemand regieren kann und die linksliberalen Amerikaner beruight wertden...Obama hat sogut wie jedes Versprechen gebrochen....mehr Soldaten im Krieg....Im Whlkampf wurden Kinder militaerich gedrillt "Yes We Can !" zu bruellen...das hat mich an ganz dunkle Zeiten erinnert...

    Internetkontrolle wird uasgeweitet...Patriot Act nicht zuriueckgenommen.... Nordamerikanische Unio wird weiter vorrrangetrieben...was zur Auschaltung der amerikanischen Verfassug fuehren soll...weiterhin wird Uranmunition eingesetzt...die fuer Missgeburten und einen schleichenden Genozid in Afghanistan und Irak fuehrt....

     

    http://www.nuoviso.tv/interviews/interview-mit-christoph-r-hoerstel.html

     

    Bitte aufwachen TAZ

  • N
    Nobloviating

    The number of "PEOPLE" who were uninsured in the USA in 2007 were 45,657,000. 

    But who are these people? 

     

    Of the 46 million "PEOPLE" without insurance, 10,231,000 are listed as "Not a citizen" (illegally living in the US) in 2006. In 2007, this figure is 9,737,000. Beyond the noncitizens, a large number are high-income earners. Under the "Household Income" section, the number of uninsured who make $75,000 or more is 9,283,000 in 2006 and 9,115,000 in 2007. An additional 8,459,000 in 2006 had a household income of $50,000 to $74,999. In 2007 this number was 8,488,000.

    Those who earn less than $36,000 for a houshold of four per year would qualify for Medicaid Health Insurance. About 9,000,000 of those have not registered to be covered.

     

    Man sollte meinen, die Aufrechnung der Zahlen sollte etwas Klarheit schaffen fuer die, die sich auf Journalisten verlassen in ihrer Meinungsbildung.

  • WS
    wolfgang stein

    Die geplante Gesundheitsreform von Obama ist nur ein

    Punkt in seiner Politik, in der er sich verhoben hat. Auch in der Sicherheitspolitik, der Frage Guantanamo usw. zeigt sich, dass er seine naiven Wähler getäuscht hat. Dieser Präsident wird auf der

    ganzen linie scheitern, und das ist gut für die USA

    und die Welt. Wie Mr. Carter wird er eine Episode

    in der US-Geschichte werden.

  • EV
    einer von vielen

    wir werden zeuge einer der skrupellosesten lobby-pr der letzten jahre...desinformation auf einem kaum erträglichen level...

    sehr erhellend dazu folgender bericht auf msnbc:

     

    http://www.youtube.com/watch?v=lSZE4sr4hhQ

  • P
    point64

    @Meyer: das Problem mit Medicare ist nicht, dass Medicare schlecht wäre, sondern dass die Versicherung bei Medicare vom Einkommen abhängt. Diese Einkommensgrenze ist jedoch so niedrig, dass die untere Mittelschicht "zu viel" verdient, um sich bei Medicare versichern zu können, jedoch zu wenig Geld hat, um sich privat versichern zu können. Genau diese Menschen haben überhaupt keine Versicherung, es sei denn, sie haben Glück und ihr Arbeitgeber zahlt. Das ist jedoch rein freiwillig.

     

    Das Problem der Amerikaner ist zudem, dass sie sich einreden lassen, sie wären mit einer staatlichen Versicherung fremdbestimmt. Schlimmer als die privaten Versicherungen können die es gar nicht treiben: Es hat in USA System, bezahlenden Versicherten Leistungen unter Vorwänden zu verweigern. Das wurde nicht nur von Michael Moore thematisiert...

  • H
    Hans

    Da hat sich Frau ADRIENNE WOLTERSDORF aber arg vergriffen. So einen schlechten Artikel hab ich ja schon lange nicht mehr gelesen. Gerade bei der Unterschlagung von Fakten sticht er aus dem Einheitsbrei besonders heraus.

    Ob die Sinologin vor ihrer Versetzung von den USA nach China schon mal übt nicht regierungskritische Texte zu schreiben?

    Für eine ehemalige Berlin-Korrespondentin des Spiegels scheint Qualität ja sowieso keine besonders große Rolle zu spielen.

     

    Mein Tipp: Lesen Sie sich erstmal die besagten 1000 Seiten des Gesetzes für die Gesundheitsreform durch und falls in ihnen dann auch Zweifel an der "Freiheitlichkeit" dieses Vorhabens aufkommen - wie übrigends auch den vielen anderen Amerikanern die in den Town Hall Meetings die Abgeordneten niederbrüllen, weil sie ihre Persönlichkeitsrechte massiv gefährdet sehen - dann äußern sie diese Zweifel doch oder haben sie etwa keine eigene Meinung?

     

    Die Diskussion auf einen Nebenschauplatz zu verlagern und die Republikaner und Lobbyisten für die Proteste verantwortlich zu machen ist mehr als armseelig.

  • PB
    Pater Braun

    Leider wird in diesem Text nicht erklärt, warum das Genossenschaftsmodell gegenüber dem staatliche Nachteile haben könnte. Das ist in einer Zeitung, die als Genossenschaft existiert, einigermaßen merkwürdig.

  • O
    Oblablabla

    BusinessWeek: “The Health Insurers Have Already Won”

    Dc-health-web

     

    In a cover story for BusinessWeek earlier this month, reporters Chad Terhune and Keith Epstein argue UnitedHealth and other insurers maneuvered to shape healthcare reform for their own benefit. The story is titled “The Health Insurers Have Already Won,” and the authors argue that the insurers have “succeeded in redefining the terms of the reform debate to such a degree that no matter what specifics emerge in the voluminous bill Congress may send to President Obama this fall, the insurance industry will emerge more profitable.” We speak with Chad Terhune, senior writer at BusinessWeek, where he’s covered healthcare for several years.

    http://www.democracynow.org/2009/8/17/business_week_the_health_insurers_have

  • LB
    Lea Blumenthal

    Hier gibt es Infos zum gegenwärtigen Gesundheitsschutzsystem der USA:

     

    http://de.wikipedia.org/wiki/Gesundheitssystem_der_Vereinigten_Staaten

     

    Ohne solche Hintergrundinfo kann man kaum was Sinnvolles zum US-Versicherungssystem sagen.

  • P
    patrick

    da sieht man diesen artikel (fast exakt gleich) auf zeit.de, spiegel online und selbst in der frankfurter rundschau und dann muss man sich den selbigen artikel auch noch bei taz.de antun.

    eigene meinung?

    qualitätsjournalismus?

  • M
    Meyer

    Medicare ist viel solidarischer als die Krankenpflichtversicherung in Deutschland. Zudem kann man sich weiterhin eine zweite Meinung einholen und eine andere Therapie wählen. Bei Erfolg bekommt diese auch von Medicare erstattet. Nachteil: Dieser zweite Ansatz muss vorfinanziert werden. Soetwas ist bei der Pflichtversicherung in Deutschland nicht möglich.

    Das System hier ist nicht solidarisch und begünstigt nur Beamte und Besserverdiener. Erst einmal hier für einer gerechte solidarische Krankenversicherung kämpfen, bevor man andernorts dummes Zeug erzählt. Die Amerikaner mögen keine Fremdbestimmung, das ist sehr sympathisch. Die Vergemeinschaftung in Deutschland geht über den Tod hinaus. siehe Friedhofspflicht.

    Die Pressemitteilung in Deutschland sind voreingenommen, da sie sich nicht mit den Details befassen. Das wäre nämlich sehr interessant im Hinblick auf notwendige Veränderungen in Deutschland.

  • T
    TBX99

    Die Debatte um die Gesundheitsreform

     

    In unserem Land wird eine äußert hitzige Debatte geführt. Den einen geht die Gesundheitsreform nicht weit genug, und andere fragen sich wütend, warum überhaupt über das bestehende Gesundheitswesen diskutiert werden muss.

     

    Die New York Times schrieb jüngst, dass die Auseinandersetzungen um die Gesundheitsreform an eine Wahlkampfkampagne zur Präsidentschaft erinnern, bei der über das Internet Unterstützer mobilisiert und kostspielige Werbekampagnen in die Wege geleitet werden.

     

    Die Debatte um die Gesundheitsreform wird äußerst emotional geführt. So sind die stärksten Befürworter einer Reform vor allem jene Personen, die schon schlimme Erfahrungen im Gesundheitswesen gemacht haben. Auf der anderen Seite stehen jene Menschen, die aufgrund von persönlichen Erfahrungen stärker...