Umdenken in der Energiepolitik: Das Ende des Ölzeitalters
Im blinden Fleck der Kritik an der Ölkatastrophe im Golf von Mexiko liegt die Ölforderung selbst und unsere Abhängigkeit von ihr. Zeit für einen Paradigmenwechsel.
Das Bild einer Bohrinsel sagt nichts über das Wesen und die Funktion einer Bohrinsel. Wer zum Beispiel mal eines der Videos gesehen hat, mit denen Shell für eine Ölplattform der Superlative im Golf von Mexiko wirbt, kann auf die Idee kommen, es handele sich bei der Plattform um einen futuristischen Außenposten zur Erforschung der Wunder der Tiefsee.
Eine neue Ära der Innovation sah Shell eingeläutet, als im März dieses Jahres die Plattform "Perdido" vor der texanischen Küste eingeweiht wurde. In 2.450 Meter Tiefe wird dort nach Öl gebohrt, und da unten, so teilt das Video mit, leben die wundersamsten Geschöpfe der Natur. Riesenquallen, Haie, Krabben und noch gar nicht bestimmtes Getier.
Großartig sei das, was die Natur da unten alles geschaffen habe, meint ein Vertreter von Shell. Mit etwas Glück gibt es diese großartige Natur heute, ein paar Monate später, immer noch. Nämlich dann, wenn das Öl, das aus dem BP-Loch ein paar Kilometer entfernt in den Golf geflossen ist, nicht bis hierher gelangt ist, und es noch nicht vermocht hat, die Tierwelt und Seetangwälder im Golf so weit zu zerstören, dass die Nahrungskette des Meeres nachhaltig ruiniert worden ist. Aber darum soll es hier nicht gehen.
Das Ausmaß der Katastrophe um die Explosion auf der Bohrinsel "Deepwater Horizon" ist in allen Einzelheiten mitsamt den ökologischen Folgen hinreichend beschrieben worden. Auch wenn die Berichterstattung nicht frei von Hoffnungen, Schwarzmalereien und Ideologien war, war sie im Ganzen darum bemüht, sich eher Sorgen um das Meer und die Menschen zu machen, die im kleineren Maßstab als Ölkonzerne vom Meer leben, als um den Fortbestand von BP. Was allerdings auch kein Wunder war, denn wenn man einem Börsenanalysten, den die Huffington Post zitierte, Glauben schenkte, dann gehe "die US-Regierung pleite, bevor es BP tut".
Trotzdem wies der Medienauftrieb um das auslaufende Öl einige merkwürdige Lücken auf. Lücken, die wesentlich mit einer unhistorischen oder genauer: einseitig historischen Betrachtungsweise zusammenhängen: Die konzentriert sich mehr auf die Geschichte der Ölkatastrophen, anstatt die Form der Ölproduktion selbst ins Auge zu fassen. Es gibt nämlich ein Unternehmen, das im Unterschied zu BP erstaunlich unbeachtet den Schaden überstanden hat.
Weltweiter Zulieferer
Es ist Halliburton, ein Konzern, der im weltweiten Maßstab als Zulieferer und Dienstleister vor allem im technischen und logistischen Bereich an Unternehmen aus der Energie- und Erdölindustrie tätig ist. Halliburton, als Firma 1919 in Texas gegründet, war maßgeblich an den Bohrarbeiten auf der "Deepwater Horizon" beteiligt und wird es auch weiterhin bei anderen Tiefseebohrunternehmungen sein. Halliburton gehört selbst unter Börsianern zu den moralisch schlecht beleumundeten Unternehmen: Das hat unter anderem damit zu tun, dass der Konzern von 1995 bis 2000, als der spätere US-Vizepräsident Dick Cheney bei Halliburton als Aufsichtsratsvorsitzender tätig war, den Wert seiner von der US-Regierung vergebenen Aufträge von etwas über einer Milliarde Dollar auf mehr als zwei Milliarden Dollar fast verdoppelte. Halliburton ist darüberhinaus ein Spezialist für heikle Geschäfte mit Problemländern wie Libyen und selbst dem Iran. Im Irak war und ist Halliburton eines der wichtigsten Unternehmen unter den Privatfirmen, die für die Sicherheit der US-Soldaten dort angeheuert wurden.
Auch aufgrund der nach wie vor sehr engen Zusammenarbeit von Halliburton mit der Regierung und Verwaltung der USA konnte die Firma gar nicht in den Fokus der Medienkritik geraten. Es wäre dann um einiges schwieriger geworden, BP oder etwa die Techniker als eine Art neue Herrscherkaste zu kritisieren, wie es hierzulande der Politologe Claus Leggewie getan hat. Leggewies Verdikt, wir hätten den Technikern die symbolische Herrschaft überlassen und ihnen nicht genug auf die Finger geschaut, geht schon deshalb fehl, weil Techniker auch nur Menschen sind. Und Menschen werden seit der Einführung der Maschinen in die britischen Manufakturen weit weniger entwickelt als eben die Maschinen und die von ihnen bearbeiteten Rohmaterialien.
Das hat der Frühsozialist und Unternehmer Robert Owen bereits 1840 in seinen "Essays on the formation of the human character" schön beschrieben. Es geht im Fall des Öls nicht um eine Vorherrschaft oder Letztherrschaft einer Technik und der sie bedienenden Techniker, sondern fundamentaler um den Stoff, auf dem unsere Welt seit dem 27. August 1859 gebaut ist, als die Drake-Quelle zu sprudeln begann. Auch deshalb verfehlt jeder Vergleich mit Tschernobyl und dem Atomkomplex das Problem. Öl lässt sich nicht in ein Ding mit vielfacher Overkill-Kapazität der Erde verwandeln. Es kommt deshalb nicht von ungefähr, dass es keinen Philosophen des Ölzeitalters gibt, wie es mit Günter Anders den Philosophen des Atomzeitalters gab. Öl ist viel profaner, auch wenn in der Folge der Entdeckung reich sprudelnder Ölquellen sich eine neue Menschheit formierte.
"Noch nie seit Erschaffung der Erde hatte es Männer mit solcher Macht gegeben", heißt es in Upton Sinclairs Weltbestseller "Öl!", der erstmals 1927 in den USA erschienen ist. Sinclair beschreibt darin einen kalifornischen Ölmagnaten und die gesellschaftlichen Veränderungen durch den neuen Reichtum. Es ist aber nicht nur der Reichtum einiger weniger, der aus dem Öl folgt, der den Beginn der amerikanischen Erdölindustrie markiert. Das ganze Leben wird auf Öl umgestellt.
Komprimiert fasst diese Umstellung der Dokumentarfilm "Collaps" von Chris Smith zusammen. Der Film erschien im November 2009 in den USA und wurde hierzulande zum ersten Mal auf der Berlinale gezeigt. Er ist im Wesentlichen ein Monolog von Michael Ruppert, der heute mit seiner Internetseite "From the Wilderness" und dem dazugehörigen Newsletter einer der bedeutendsten oppositionellen Autoren der USA ist. Rupperts Rede bewegt sich dabei zwischen zwei Grafiken. Die eine ist die sogenannte Hubbert-Kurve, die den Verlauf der Ölfördermengen in Abhängigkeit von den Quellen gegen die Zeit aufträgt, und die andere zeigt die Entwicklung der Menschenpopulation über die Jahrhunderte. Die über Jahre etwa gleich bleibende Menschenpopulation steigt 1850 leicht an, bis sie um 1900 als fast gerade Linie senkrecht nach oben explodiert. Dazu merkt Ruppert an: 1850: Industrialisierung, und 1900: Oil!
Wachstum ohne Vergleich
Wir leben im Ölzeitalter, heißt das. Keiner der vielen Milliarden Menschen, die heute die Erde bevölkern, lebt ohne Öl. Insektizide, Plastik, Landwirtschaft, Verkehrsmittel, Medizin, Dünger, alles basiert auf Erdöl oder Erdgas. Ein bisher nie beschriebenes Wachstum einer Population wurde nur durch das Öl möglich.
Mit dem Öl aber geht es zu Ende. Die Hubbert-Kurve zeigt es. Der amerikanische Ölgeologe Marion King Hubbert hatte in den 50er Jahren die Gesamtfördermenge mehrerer Ölquellen in Form einer Glockenkurve beschrieben.
Für Ruppert entscheidend ist, dass wir am Peak Oil, wie das Ölfördermaximum auf Englisch heißt, angekommen sind bzw. ihn bereits überschritten haben. Alles, was zurzeit in Politik und Wirtschaft geschieht, ist für Ruppert nichts anderes als eine Fortsetzung der alten Paradigmen von Öl und Geld. Obama ist für ihn der Präsident der Banken, Militärs und Händler, ein Präsident in der Tradition seiner Vorgänger. Tatsächlich ist Obama seit der Ölkrise 1973 der siebte Präsident der USA, der sich für eine Wende in der Energiepolitik ausspricht und wie seine Vorgänger gerade mit einem Reformgesetz zur Energie- und Umweltpolitik gescheitert ist. Das konnte Ruppert im Film zwar noch nicht wissen, es gibt aber seiner Forderung recht, die da lautet: Wir brauchen einen Paradigmenwechsel. Sehr schön ist dabei seine Definition von Paradigma: Ein Paradigma sei das, was man über etwas denkt, bevor man darüber denkt. Ein Paradigmenwechsel, der endlich zumindest im Denken Schluss macht mit den verblödeten Verkaufsstrategien, die einem jede weitere Ölbohrung als "neue Innovation" verkaufen und dabei nichts anderes perpetuieren als die Welt zwischen den Vektoren Öl und Geld.
Deshalb hält es Ruppert auch mit Thomas Jefferson und nicht mit Obama. Jefferson war es, der gesagt hatte, dass die Amerikaner in jeder Generation eine Revolution benötigen. Eine Revolution, die sich angesichts der Tatsache, dass wir alle vom oder durch das Öl leben, natürlich nicht auf die USA allein beschränken kann. Aber warum nicht in dem Land anfangen, in dem das Ölzeitalter begann und in dem es, auch weil jede vom Kernstoff ablenkende Recycling-Industrie fehlt, sozusagen rein in seiner Wirkmacht erscheint.
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