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Um jeden Preis

Von unserer Redaktion

Wenn es nach Bund und Bahn geht, wird Stuttgart 21 durchgezogen. Koste es was es wolle. Auch gegen die Mehrheit der Baden-Württemberger.

Verrückte Welt. „Mit dem heutigen Kenntnisstand würde man das Projekt nicht beginnen.“ So steht es in einer Beschlussvorlage des Vorstands der Deutschen Bahn (DB) für den Aufsichtsrat, der am 5. März tagt. Und das hat seinen Grund: Wie immer DB-Chef Rüdiger Grube rechnet, das Staatsunternehmen wird damit nie Geld verdienen. Das ergibt sich aus dem Dokument, das Kontext vorliegt und klar macht, dass der Steuerzahler das Milliardengrab bezahlen muss. Die Bahn hält nochmals fest, dass sich die Kosten von zuletzt angegebenen 4,526 auf 6,526 Milliarden Euro erhöhen werden. Nach bahninternen Schätzungen wird bereits von neun Milliarden Euro ausgegangen. Folgt das Aufsichtsgremium der Beschlussvorlage – was als sicher gilt – dann wird weiter gebaut. Hilfsweise wird dann noch der Finanzierungsvertrag zwischen den Projektpartnern herangezogen, in dem eine ordentliche Kündigung „ausdrücklich ausgeschlossen“ werde.

Offen eingeräumt wird, dass der Prestigebau nie wirtschaftlich sein wird, allerdings käme ein Abbruch noch teurer als die Fortsetzung, behauptet der Konzern. Es gebe keine „Entscheidungsalternative“, deshalb spreche sich der Aufsichtsrat für eine „Fortführung des Projekts aus“. Grube nennt zwei Milliarden Euro als Ausstiegskosten, die den Konzern in die roten Zahlen treiben würden, und, ganz nebenbei, den Vorstand um die Boni-Vergütungen (in 2011: 3,748 Millionen Euro) brächten.

Die projektkritischen „Ingenieure 22“ kommen dagegen nur auf 363 Millionen Euro. Für sie zählt etwa der größte, von der Bahn eingerechnete Posten – 795 Millionen Euro für die Rückabwicklung des Grundstückdeals mit der Stadt Stuttgart – nicht zu den Ausstiegskosten. Der Bahn entstehe kein Vermögensschaden, argumentieren sie, da sie die 2001 verkauften Gleisflächen zurückerhalte und in den vergangen zwölf Jahren mit dem „verkappten Kaufpreis-Darlehen“ Gewinne erwirtschaftet habe. Auch eine halbe Milliarde Euro bereits gezahlter S-21-Zuschüsse sind nur für die Bahn, nicht aber für den Steuerzahler verloren.

So wird erneut deutlich, was schon immer klar war: Stuttgart 21 ist ein politisch gewolltes, um nicht zu sagen durchgepeitschtes Projekt. An höchster Stelle gepusht durch Kanzlerin Angela Merkel (CDU), die es zum Symbol für die „Zukunftsfähigkeit“ und Stabilität Deutschlands macht, und jetzt sogar einen Schutzschirm über dem unterirdischen Bahnhof ausspannen will – wie einst bei den Banken. Sonst käme, sagt Merkel, im Falle des Scheiterns, „morgen mein griechischer Kollege und sagt: Weil bei uns so viel protestiert wurde, kann ich die Stabilitätszusagen nicht mehr einhalten.“ Zuletzt bekräftigt durch Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), für den es im „gesamtstaatlichen Interesse“ gebaut werden muss. Von demselben Politiker im Übrigen, der zusammen mit Merkel die brutalsten Sparprogramme in der EU durchsetzt.

Daran ändern auch die jüngsten Strafanzeigen der S-21-Gegner nichts, die sich gegen DB-Chef Grube, seinen Infrastrukturvorstand Volker Kefer und den Aufsichtsrat richten. Der Vorwurf lautet auf Untreue und Betrug. Dasselbe gilt für die Strafanzeige, die der frühere Richter Christoph Strecker an die Bundesregierung adressierte, der er Subventionsbetrug vorwirft. Der Grund: Die Bundesrepublik hatte EU-Gelder für Stuttgart 21 beantragt, mit dem Argument, die Schienenkapazität werde ausgebaut. Doch in Wahrheit ist S 21 ein Rückbau.

Großzügig hinweg sehen Merkel & Co auch über den Willen der Wähler. Zuletzt dokumentiert durch eine bundesweit beachtete Umfrage, die von Kontext und taz bei TNS-Emnid in Auftrag gegeben wurde. Ihr Ergebnis vom vergangenen Sonntag war eindeutig: 54 Prozent der Wahlberechtigten in Baden-Württemberg lehnen das Bahn- und Immobilienprojekt ab, quer durch alle Bildungsschichten und fast alle Altersgruppen. Nur 39 Prozent befürworten es. Und weiter: 55 Prozent der Befragten wollen, dass die Bahn die Mehrkosten übernimmt. Nur 39 Prozent unterstützen die Forderung von DB und Bund, dass das Land Baden-Württemberg, die Stadt und die Region Stuttgart zusammen mit der Bahn die zusätzlichen Lasten tragen sollen.

Eigentlich wäre das eine Steilvorlage für Ministerpräsident Winfried Kretschmann gewesen, der den Südwesten zum Musterland des Gehörtwerdens ausgerufen hat. Immerhin erkennt er in der Umfrage einen „Meinungswandel“ bei seinem Wahlvolk. Aber der grüne Landesvater verweist nach wie vor auf die Volksabstimmung vom November 2011, in der sich die Baden-Württemberger zu 59 Prozent für den Tiefbahnhof ausgesprochen haben – zu einem Zeitpunkt, als die Kostenexplosion noch nicht öffentlich bekannt war. Kretschmann räumt zwar ein, dass er inzwischen juristisch nicht mehr am Volksentscheid festhalten müsse, politisch aber schon. Und deshalb werde er „keine Ausstiegsdebatte eröffnen“. Ansonsten gelte bis heute: kein Cent mehr.

Ermuntert fühlen könnte sich der Regierungschef auch von Medien, die bisher nicht unbedingt zu seinen Freunden zählten. Springers Welt meinte, wenn die Befragten mit genauen Kosten konfrontiert würden, wie in der Emnid-Erhebung geschehen, „wenden sie sich ab“. Und Bild widmete der Studie eine Dreiviertelseite mit dem Titel: „Erstmals Mehrheit gegen S 21“. Möglicherweise wären sie vom Südwestrundfunk (SWR) und der Stuttgarter Zeitung noch flankiert worden. Beide hatten eine Umfrage bei Infratest/dimap geplant, sie dann aber verworfen, nachdem Kontext und taz mit Emnid auf dem Markt waren. Kosten sparen hieß das Argument beim Sender.