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■ Um die Zukunft unserer Schulen – Replik auf H.W. Frankes Kritik an der NRW-Denkschrift zur Schulreform, taz vom 7.11.Der einheitlich-etatistische Holzweg

Der Essay von Horst-Werner Franke belegt in klassischer Weise das Dilemma sozialdemokratischer Bildungspolitik.

Unstrittig ist, daß die Diskussion um Bildungsreform in den 60er und 70er Jahren mit mehr öffentlicher Aufmerksamkeit geführt worden ist und daß die SPD sich vom bildungspolitischen Gestaltungsanspruch weitgehend verabschiedet hat. Dafür aber nun Johannes Rau zu schelten, der mit seiner Bildungskommission versucht hat, diese Entwicklung zu stoppen, ist ein Fehler.

Für Franke ist die Denkschrift der NRW-Kommission „Zukunft der Bildung – Schule der Zukunft“ eine Ansammlung von Allgemeinplätzen, die von abgehobenen Kommissionsmitgliedern wiedergekäut werden. Schlimmstes Übel des Berichtes scheint zu sein, daß er sich auch noch mit Haushaltszwängen abfindet und keinen personellen Mehraufwand fordert. Das Verdienst der NRW-Denkschrift besteht gerade darin, daß sie das Blickfeld aus alten Denkschablonen löst. Die Veränderung der Schule zu einem „Haus des Lernens“ ist eine Forderung, der wir eine breite öffentliche Diskussion verschaffen sollten.

Die Forderung nach einer Schule, in der Kinder willkommen sind, in der Fehler als Wege zur richtigen Erkenntnis beschrieben werden, in der die Achtung vor anderen Menschen und die solidarische Gestaltung des gemeinsamen Lernens betont wird, ist allerdings die Forderung nach einer grundsätzlich anderen Schule, als wir sie heute haben. Und dies ist nicht in erster Linie eine Finanzfrage. Kindern nicht permanent ihre Defizite zu bescheinigen, sondern sie in ihrer Entwicklung zu stärken, ist eine andere Herangehensweise an Schule. Sie setzt voraus, daß Schule so gestaltet wird, daß die unterschiedlichen Fähigkeiten der Kinder akzeptiert werden, daß Kinder mit und ohne Behinderungen, mit unterschiedlicher sozialer, nationaler und kultureller Herkunft sich gegenseitig in ihrer Unterschiedlichkeit akzeptieren. Eine solche Schule muß abgehen von der Vorstellung, daß alle Kinder zur gleichen Zeit das gleiche lernen. Das heißt auch Abschaffung von Ziffernoten, statt dessen individuelle Lernentwicklungsberichte, die nicht mangelhafte Leistungen konstatieren, sondern die Rückmeldung zur Ermutigung nutzen. Dies alles ist in erster Linie kein Problem der Finanzen, sondern eine andere Denkweise, wie Menschen miteinander, Erwachsene mit Kindern und Jugendlichen umgehen, ihnen Kompetenzen vermitteln, die sie für ihre Lebensgestaltung brauchen, sie in ihrer Individualität und Würde akzeptieren.

Frankes Herangehensweise zeigt deutlich das Dilemma, in das uns die sozialdemokratische Bildungspolitik der 60er und 70er Jahre gebracht hat. Die damalige Phase der Bildungsreform bestand im wesentlichen in der Expansion der weiterführenden Schulen, darin, daß benachteiligte Bevölkerungsgruppen, „das katholische Arbeitermädchen vom Lande“, Zugang zu weiterführenden Bildungseinrichtungen bekamen. Ein großer Teil dieser Forderung ist erfüllt. Diese Phase der Bildungsreform fiel in Zeiten von Wirtschaftswachstum, und Reform wurde im wesentlichen durch die Ausdehnung des Finanzanteils garantiert. Dieser Sachverhalt hat dazu geführt, daß Bildungsreform mit der Expansion des Haushaltsanteils gleichgesetzt wurde. In dieser Gleichsetzung heute noch zu verharren ist eine Reduzierung von reformpädagogischer Phantasie. Diese Denkfalle behindert geradezu notwendige Anstöße.

Die öffentlichen Haushalte müssen heute mit anderen Restriktionen arbeiten. Vor allem hat aber die damalige sehr quantitativ geprägte Diskussion und die Konzentration auf die Strukturfrage der Schulen den Blick auf die Qualität der Schule, die innere Schulreform vernachlässigt. Sie hat wesentlich dazu beigetragen, daß die Zuständigkeit für schulische Reformen dem Staat zugeschrieben wurden, und damit wurden die Kollegien in den Schulen von der Verantwortlichkeit für die Veränderung weitgehend entlastet. Dies auch wieder zusammenzudenken, dafür ist die Schrift der NRW- Kommission eine Hilfestellung.

Die Stärkung der einzelnen Schule soll ein wesentliches Mittel zur ihrer Qualitätssteigerung sein. Frankes Verdikt dieser Richtung der Bildungsreform als Deregulierung und Drücken vor staatlicher Verantwortung zeigt den klassischen sozialdemokratischen Etatismus, der bis in einzelne Klassenzimmer hinein die Schule reglementieren will. Dieser hat gerade dazu geführt, daß außer der individuellen Verantwortung der Lehrkräfte für den Unterricht wenig Verantwortlichkeit für die Gestaltung der Schule als pädagogischer, als korporativer Institution entwickelt wurde. Dadurch sind die Schulen insgesamt unfähig, auf die jeweiligen Bedürfnisse der Schülerinnen eingehen zu können, Veränderungen in der Unterrichtsorganisation, in den Lernformen vorzunehmen. Die Beteiligten haben die Kooperation nicht gelernt. Gerade die Kommunikation und Rechenschaftslegung darüber, was die Schule als gesamte pädagogische Einrichtung als Erziehungsziel verfolgt, wie sie in ihrer Gesamtheit Lehrkräfte, SchülerInnen und Eltern in die Entscheidungen einbezieht, ist ein Weg, die Qualität der Schule zu verbessern. Gute Schulen zeichnen sich im übrigen dadurch aus, daß sie diese Prozesse bereits lange dazu nutzen, die Identifikation mit der Schule zu erreichen. Die ernsthafte Evaluation der eigenen Arbeit, ob die Schule den selbstgesteckten Zielen gerecht wird und ihre Aufgabe gut erfüllt, wird die Qualität besser sichern können als die jetzige Form der Schulaufsicht.

Frankes Schlußfolgerung mündet in der Forderung nach Einstellung von vielen neuen LehrerInnen. Sosehr diese Schlußfolgerung zu unterstützen ist, schon allein deshalb, weil eine altersmäßige Mischung der Lehrkräfte auch für Schülerinnen und Schüler besser ist, ist sie als alleinige Forderung doch etwas dürftig.

Heute brauchen wir die Lüftung pädagogischer Gehirne, die sich aus der Denkfalle befreien wollen, die Bildungsreform mit Finanzexpansion zum Synonym erklärt hat und flächendeckend von oben verordnen will. Die Qualität der Schule hängt selbstverständlich entscheidend von den Rahmenbedingungen ab, die ihr staatlicherseits gesetzt werden. Ob die Schule von Schülerinnen und Schülern als ihr Lern- und Lebensort begriffen wird, hängt mindestens ebenso davon ab, wieweit Lehrkräfte es schaffen, gemeinsam mit den Jugendlichen und den Eltern eine Schule zu gestalten, mit der sich alle identifizieren können. Sybille Volkholz

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