: Ultimatum an Hans Neuenfels
■ Der Senat will ab Ende März die Subventionen für die Freie Volksbühne sperren, wenn Neuenfels nicht zurücktritt / Die Kompromißlösung von Kultursenatorin Martiny ist gescheitert / Staatsanwaltschaft ermittelt seit Freitag gegen die Leitung des Theaters
Das Spiel für den Intendanten der Freien Volksbühne dürfte nun endgültig aus sein: Der Senat setzte in seiner gestrigen Sitzung dem Hick-Hack um den Ex-Intendanten und Noch -Regisseur Hans Neuenfels ein Ende, indem er ihm ein - wenn auch nicht explizit formuliertes - Ultimatum stellte. Die Volksbühne wird ab Ende März keine Subventionen mehr erhalten, wenn Neuenfels bis dahin nicht von jeder Leitungsfunktion zurückgetreten ist, heißt es in dem Senatsbeschluß. Dem Verwaltungsrat der Volksbühne solle damit Gelegenheit gegeben werden, die nötigen Entscheidungen über einen personellen Wechsel zu fällen. Der Senat setzte sich damit gegen einen Kompromißvorschlag von Kultursenatorin Martiny durch, den sie vergangene Woche mit Neuenfels ausgehandelt hatte. Dieser Kompromiß sah vor, daß Neuenfels als Intendant sofort abtreten, als künstlerischer Direktor aber bis zum Sommer 1991 weiter schalten und walten sollte - zu diesem Zeitpunkt wäre sein offizieller Vertrag ohnehin ausgelaufen. Für den Rest dieses Jahres sollte der Direktor der Schaubühne Schitthelm die Volksbühne leiten. Sie habe um jeden Preis vermeiden wollen, daß die Volksbühne in Konkurs hätte gehen müssen, so Frau Martiny gestern. „Ich habe aber den Senat nicht davon überzeugen können, daß ein Betriebsdirektor gefunden werden kann, der stark genug ist, sich gegen Neuenfels und dessen Neigung, mehr Geld auszugeben als er darf, durchzusetzen“, hieß es als Erklärung für den Beschluß.
Seit Freitag ermittelt auch die Staatsanwaltschaft gegen das marode Theater in der Schaperstraße wegen Veruntreuung und „zweckfremder Verwendung“ von Geldern. Die Vorgeschichte des Skandals um Neuenfels reicht um mehrere Jahre zurück: Seit seiner Amtseinführung 1986 geriet er immer wieder in die Schlagzeilen, weil er es trotz steigender Subventionen nicht schaffte, die Defizite des Theaters abzubauen und die Säle zu füllen. In einem Prüfungsbericht zum Geschäftsjahr 1988 - der dem Tagesspiegel zugespielt worden war - ist nachzulesen, daß Neuenfels etwa nicht unbeträchtliche Beträge aus dem Subventionstopf für die Realisierung eines Filmprojektes verwendete und auch bei der Spesenabrechnung nicht kleinlich war. Der Hauptausschuß des Abgeordnetenhauses hatte der Volksbühne Ende letzen Jahres die Auflage gemacht, über eine Million Mark einzusparen, da die Verschuldung des Theaters immer weiter nach oben gestiegen war. Für das Jahr 1988 wurde trotz der Subventionen ein Defizit von knapp einer Million Mark eingespielt, für 1989, für das die Prüfung noch nicht vorliegt, schätzte Martiny das Defizit sogar noch höher.
Von den im Haushalt '90 vorgesehenen 13,4 Millionen Mark hat die Volksbühne bereits 1,7 Millionen Mark erhalten, weitere 500.000 Mark sollen für die Aufführungen bis Ende März demnächst bewilligt werden. Nimmt Neuenfels - sein Vertrag ist so gestaltet, daß er nicht gekündigt werden kann - dann nicht freiwillig seinen Hut als Intendant und künstlerischer Direktor, bedeutet das die Schließung der Bühne. Das auch baulich marode Haus wird im Sommer 1991 ohnehin geschlossen und soll für 20 Millionen Mark bis zum Frühjahr 1992 saniert werden. Im März allerdings will man an der Volksbühne noch Geburtstag feiern: Der Verein der Freien Volksbühnen begeht dann seinen 100., gemeinsam mit der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz in Ost-Berlin. Die Volksbühne war 1890 dort, am ehemaligen Bülowplatz, gegründet worden, und öffnete 1954 trotz starker Kriegsschäden wieder ihre Pforten. Ihr Ende als eingetragener Verein kam im Osten im Jahr 1951, als der FDGB die Funktion eines allgemeinen Kunstförderers übernahm.
kd
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen