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Uli Hannemann Liebling der MassenHeute ohne Neu-Jorker Käsekacke

Wir kommen an einem dieser poshen Frühstücksläden in Friedrichshain vorbei, und ich sage: „Die können hier auch kein Deutsch.“

Sofort fange ich mir einen Anpfiff ein. Ob ich überhaupt wisse, wie ich gerade klinge?

„Na ja“, sage ich, „was soll ich denn machen: Ich war da schon zweimal drin, und immer, wenn ich was bestellen will, heißt es, ‚Sorry, I don’t speak German.‘ Also, wenn ich hier in der Gastronomie arbeite, dann sollte ich eigentlich schon …“ Ich verstumme, um mich nicht noch mehr als Nazi light zu outen. Aber vielleicht mache ich dadurch alles nur noch schlimmer.

Auf „sollte ich eigentlich schon …“ könnte nun nämlich genauso gut folgen: „… einen Ariernachweis haben“; „… wissen, wie man aus ein paar Beilagengürkchen auf dem Teller ein Hakenkreuz formt“; „… die Gäste mit Marschmusik empfangen“.

Sie seufzt. „Das ist eben Friedrichshain.“

„Was soll das denn heißen: Dass die hier Russisch sprechen müssten?“

„Nein, und ich verstehe ja, was du meinst. Aber gerade in diesen Zeiten bekommt das wieder einen total merkwürdigen Klang. Hör dir doch mal zu“ – sie fakt die heisere Stimme eines üblen Unholds: „Die können hier auch kein Deutsch.“

So habe ich nicht gesprochen. Außerdem sehe ich das anders. Rechte können doch zufällig auch mal etwas schlecht finden, was Nichtrechte ebenfalls nicht mögen. Pest zum Beispiel. Oder beide können das Gleiche gut finden, wie „New York Cheesecake“. Obwohl er bei denen wahrscheinlich Neu-Jorker Käsekacke heißt oder so.

Und Nazis können auch mal recht haben, zum Beispiel bei der Frage wie das Wetter wird. Soll man ihnen das nicht glauben, nur weil sie Nazis sind?

Denn die Vorstellung, „die Nazis“ wären auch in absolut jedem Detail so was wie komplette Negative eines humanistischen Menschenbilds, wirkt ähnlich ignorant, wie wenn Ulf Poschardt „die Radfahrer“ beschreibt: als wie vom Himmel gefallene Antiwesen, lächerlich verzerrte Gespinste des eigenen Vorurteils, die man weder verstehen kann noch will. Alle Nazis mögen Graupelschauer, essen lieber Fleisch als Gemüse, hassen Kätzchen und lieben Wespen?

Nazis fahren auf Blumen ab

So einfach ist es aber nicht. Nazis sind Leute wie du und ich. Also natürlich mehr noch wie du. Wie wir aus „The Zone of Interest“ wissen, fahren sie total auf Blumen ab. Nazis lieben Kinder, wenn auch nur die eigenen – die anderen müssen sterben, aber manche bedauern das sogar. Sie schreiben für Die Welt, NZZ oder NIUS, spielen Fußball, arbeiten bei Edeka und bei der Polizei. Nazis lachen gern und viel.

Ein Kollege hat mal gesagt, man dürfe keine Witze machen, über die Nazis lachen könnten. Aber das basiert auf der weltfremden Annahme, Nazis würden nur über geschredderte Küken oder verhungernde Eisbären lachen. Und nicht „wie wir“ auch über die Szene in der „Nackten Kanone“, in der O. J. Simpson als Detective Nordberg vom Schiff fällt.

Es kann schon sein, dass sie weniger wegen des Slapsticks lachen, sondern weil sich eine schwarze Filmfigur schlimm wehtut. Aber immerhin lachen sie über dieselbe Szene. Und über abgemagerte Eisbären lachen sie obendrein, allein den vielen lustigen Lachsmileys unter jedem Klimabeitrag im Netz nach zu schließen. Nazis sind also rein quantitativ und auf ihre ganz spezielle Art noch fröhlicher und humorvoller als andere Bürger.

Bissi abgeschweift. Ob wir in das Café reingehen könnten, bettele ich nun. Ich hätte Lust auf ein Stück Käsekacke. Dafür würde ich auch meinen überbordenden Rechtsextremismus vorübergehend hintanstellen. Nicht lästern, schön Englisch sprechen. Aber ich bekomme keinen Kuchen, leider, aus der Nazi-Schublade komme ich jetzt schlecht wieder raus.

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