Uli HannemannLiebling der Massen: Das Büro, der Locher,der Kaffee und das Ich
Solange man ihn auch hinauszögert, kommt irgendwann doch der Moment, an dem man sich eingestehen muss, dass hochfliegende Pläne gescheitert sind. Das bisherige Leben: ein Irrtum. Ein radikaler Schnitt muss her.
Ich möchte mich von der Schnapsidee des Autorenberufs endgültig verabschieden und in Zukunft einem geregelten Broterwerb nachgehen. Das ist die Lösung. Nicht zu anspruchsvoll. Morgens hin mit einer Tupperdose voll geschälter Möhrchen. Klapper, klapper. Nach Feierabend mit leerer Dose zurück. Leise, leise. Ich bin rechtschaffen müde. Ein guter Film im ZDF, ein halbes Bier. Schnappverschluss. Schlaf der Gerechten. Und alles wieder von vorn. Morgens, Möhrchen, Müde. Ein monatlicher Gehaltsscheck von sagen wir zwölfhundertfünfzig netto reicht mir völlig, ein Traum.
Da bleiben für mich wohl genau zwei Möglichkeiten: zum einen irgendwas mit schwer Schleppen von schmutzigen Sachen und zum anderen ein Büro. Das Schleppen kommt nicht infrage, wegen Alter und Rücken. Nicht so richtig Bock auch. Also bleibt nur das Büro.
Aber was macht man da überhaupt? Ich kenne zwar Leute, die dort arbeiten, doch wirklich verstanden habe ich es nie. Vielleicht habe ich auch nicht richtig hingehört, denn das klang alles sehr langweilig. Und wo ist das Büro überhaupt, wo muss ich denn da hingehen und muss ich mich da bewerben oder darf da jeder gleich anfangen? Bekomme ich da dann ein Zimmer oder einen Schreibtisch und kriege ich einen Stuhl oder muss man den selber mitbringen oder muss ich vielleicht sogar die ganze Zeit über stehen? Das wäre hart. Aber vielleicht bekomme ich einen Locher. Wimpf, wimpf, wimpf! Das macht Spaß. Ein Locher wäre toll. Und Buntstifte.
Die anderen Leute im Büro sind mir unheimlich. Die „Kollegen“ kriegen doch gleich raus, das mit mir was nicht stimmt und dass ich eigentlich wahnsinnige Angst habe vor ihnen und der Arbeit und davor, dass das Telefon klingelt und ich nicht weiß, was ich dann sagen soll, und überhaupt vor der ganzen Situation. Dass das alles für mich das erste Mal ist.
Dass ich keine Ahnung habe, wie ich mich verhalten soll. Muss ich da jedes Mal „Guten Morgen“ sagen, wenn ich das Büro betrete, oder irgendeine andere Feel Good Emotion faken? Und später noch mehr mit ihnen reden, in der Kantine, auf dem Gang, auf dem Scheißhaus? O Gott, über was denn?
Bestimmt hefte ich alles falsch ab. Wird mir das denn jemand erklären? Und was ist mit dem Kaffee: Kriegt man den umsonst oder nur bis zu einer bestimmten Menge oder muss man den bezahlen? Und wenn, wie viel und wo und wann? Muss man sich den selber holen oder wird der an den Tisch gebracht? Hab ich überhaupt einen Tisch oder muss ich stehen?
Erschwerend kommt hinzu, dass ich für den regulären Arbeitsmarkt sowieso verbrannt sein dürfte. Ich schätze, ich bin nicht mehr integrierbar. Ich will niemanden, der mir sagt, was ich zu tun habe. Umgekehrt will ich auch niemandem vorschreiben, was sie oder er zu tun hat. Das ist doch Schwachsinn. Der Locher macht das dann auch nicht wett.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen