Uganda verbietet Einfuhr von Elektronikmüll: Das Second Life der Computer
Uganda will die alten Computer aus dem Westen nicht mehr haben, da Kampalas Müllhalde im Gift ersäuft. Aus dem E-Schrott basteln findige Schrauber billige Computer.
KAMPALA taz | Fassungslos zeigt Patrick Jiemba auf eine Notiz in der Zeitung. Neben der Einfuhr alter Kühlschränke soll auch der Import gebrauchter Computer untersagt werden, heißt es da - der Umwelt zuliebe, denn Elektrogeräte enthalten hochgiftige Substanzen. "Das zerstört mir meine Zukunftspläne", seufzt Jiemba. Der Soziologiestudent wollte nach seinem Abschluss ein Internetcafé eröffnen - mit gebrauchten Computern aus Europa. "Neue Rechner kann sich doch niemand leisten", sagt er. Jetzt scheint der Traum dahin.
Niedergeschmettert legt Jiemba die Zeitung weg. Der schlaksige Ugander hockt auf einer Kiste vor einem Internetcafé in der Hauptstadt Kampala. Hier, im "Speedinternet" neben der Internationalen Universität, herrscht wie üblich Hochbetrieb. Eine halbe Stunde wartet er, bis einer der 18 Computer frei wird. Die Ugander sind bereits im Internetzeitalter angekommen. Doch nur fünf Prozent der Nutzer können sich einen eigenen PC leisten.
Endlich ist Jiemba an der Reihe. Er schiebt die Tastatur zur Seite, zieht das Modemkabel aus dem Desktop. Aus seinem Rucksack holt er einen Laptop hervor: 80 Gigabyte Festplatte, Duo-Prozessor, DVD-Laufwerk - sein ganzer Stolz. Fast ein Jahr schenkte er in Kneipen Bier aus, um sich den gebrauchten Laptop für 300 Dollar leisten zu können. "Wenn der Staub ihm nicht allzu sehr zusetzt, dann hält er noch drei bis fünf Jahre", hofft Jiemba.
Doch was dem Studenten sein modernes Arbeitsgerät ist, das ist in westlichen Ländern Elektroschrott. NGOs wie Greenpeace klagen an: Der Westen verschiffe seine hochgiftigen Abfälle unter dem Label "Secondhandware" in die Dritte Welt. Deswegen hat die Regierung in Uganda nun als erstes Land in Afrika entschieden: Der E-Schrott soll ab Oktober gefälligst anderswo auf der Müllhalde enden.
Kampalas Deponie ist Onesmus Muhwezis Sorgenkind. Der Verantwortliche für die Überwachung von Umweltstandards hatte sich für den radikalen Importstopp starkgemacht. Denn nicht nur Bananenschalen, Plastikflaschen und Pappe, sondern auch Batterien, Handys oder ausrangierte DVD-Laufwerke - "alles endet auf dieser Müllkippe", klagt Muhwezi. Es fehlt sowohl an gesetzlichen Rahmenbedingungen als auch an der praktischen Umsetzung von Mülltrennungs-, und Recylingmethoden. "Solange wir dieses Problem nicht gelöst haben, gilt das Importverbot", erklärt er rigoros.
Der Umweltökonom sitzt hinter einem neuen Flachbildmonitor im Büro der Umweltbehörde Nema, und klickt sich durch Tabellen. Jeden zweiten Monat nimmt die Nema Wasserproben rund um die Deponie und prüft sie auf Schwermetalle. "Die Werte sind alarmierend", seufzt Muhwezi. Der Bleigehalt sollte 0,1 Milligramm pro Liter nicht übersteigen. In seiner Statistik liegt er bei 1,4 Mg. Der Risikowert beträgt bei Eisen 10 Mg. In Kampala werden 77 Mg pro Liter gemessen. Ähnlich Tendenzen zeigen die Chrom-, Kadmium- und Kupferwerte. Sein Fazit: Das Wasser, das fast unbehandelt von der Deponie in den Victoriasee rinnt, sei verseucht und die Substanzen seien krebserregend.
"Das ist erst der Anfang des Problems", orakelt Muhwezi und tut geheimnisvoll. Er winkt, ihm bis auf den Dachboden zu folgen. Dort türmen sich hunderte ausrangierte Desktops und zerbrochene Monitore. Tastaturen sind achtlos auf einen Haufen gekippt. Ähnlich sieht es auch in den Lagern des Finanzministeriums aus, bestätigt Muhwezi. Laut Nema horten die ugandischen Behörden 80.000 ausrangierte Computer-Sets. "Wir lagern sie, solange wir keine Bestimmungen haben, was damit geschehen soll", erklärt Muhwezi. Er befürchtet, dass auch dieser Schrott auf der Deponie landet.
Kampalas gigantische Müllhalde riecht man schon von weitem. Acht Kilometer nordwestlich der Eineinhalb-Millionen-Stadt kippen Lastwagen den Abfall unsortiert in eine Senke zwischen den Hügeln. Doch die Grube ist nicht Endstation für Plastikflaschen, Pappkartons oder Computerteile, sondern das Eingangstor in die informelle afrikanische Wiederverwertungsgesellschaft.
Moses Ssemwanga schreitet über die Müllkippe wie ein Unternehmer durch seine Werkshalle. Der 54-Jährige hat früher mit Gold aus dem Nachbarland Kongo gehandelt, doch das Geschäft mit dem Müll "ist viel lukrativer", sagt er. Der Händler bezahlt 20 Männer und Frauen, die mit bloßen Händen den Abfallberg nach Wiederverwertbarem durchwühlen. Meter für Meter wird so der Unrat per Hand sortiert. Ssemwanga zeigt auf die drei Haufen, die wie Höcker aus der Senke hervorragen. "Plastik verkaufe ich an die Chinesen, Pappe liefere ich nach Kenia zum Recycling und das Metall bringe ich in die Stadt - das ist ein gutes Geschäft", strahlt er. Und was passiert mit den alten Computern, die dort aufgehäuft liegen? Ssemwanga runzelt die Stirn: Die Plastikgehäuse der Monitore würden nach China verschifft. Die Desktops verkaufe er an einen Freund.
Der Freund, Adam Kasibante, hat seinen Metallwarenladen in einem Armenviertel in der Altstadt. Sein Container ist mit Kupferkabeln, Laufwerken und Lüftungsventilatoren vollgestopft. Auf einem Holztisch schraubt der Elektroniker einen Desktop auseinander, als würde er einen Fisch sezieren. Endet hier das Second Life eines Computers? "Nicht ganz", sagt Kasibante. Mehr als die Hälfte wandert ins Ersatzteillager. Die kaputten Teile verkauft er an einen Schrotthändler, der Metall einschmilzt.
Einmal pro Woche unternimmt Kasibante einen Streifzug durch die Internetcafés. Für umgerechnet zehn Euro kauft er ausrangierte Computer, die ihr Second Life bereits hinter sich haben. Zu seinen besten Kunden gehören die Reparaturwerkstätten, die gebrauchte PCs aufrüsten. Von diesen übernimmt er kaputte Rechner und verkauft ihnen umgekehrt die Ersatzteile.
Auf seiner Tour klopft Kasibante auch bei Moses Ojambo* an den Verschlag. Der befestigt gerade einen Konverter, damit der PC den Spannungsschwankungen im Stromnetz standhält. Ojambo ist nur einer von unzähligen Elektrikern, die in den Seitengassen der staugeplagten Kampala-Straße gebrauchten PCs aus Europa ein Second Life in Afrika einhauchen. Für Ojambo war wie für Kasibante auch die Nachricht vom Importstopp ein Schock. 600 Computer-Sets bekommt er pro Monat aus England geliefert. Für die Pentium-III- oder -IV-Modelle zahlt er 80 Dollar. Er repariert und verkauft sie für 100 Dollar weiter. "Wenn jemand ein Internetcafé eröffnet, mache ich einen Sonderpreis", lächelt Ojambo.
Im vergangenen Jahr eröffnete Microsoft in Partnerschaft mit der Industrie-Entwicklungsorganisation der UN (Unido) in Kampala eine Reparaturfabrik für gebrauchte PCs. Microsoft will sich den afrikanischen Markt erobern - umweltfreundlich und den finanziellen Ansprüchen angepasst.
"Green Computers" steht in knallgrünen Buchstaben auf dem Tor der Werkshalle. Dahinter stapeln sich 2.000 gebrauchte Desktops, Laptops, Monitore und Tastaturen. Die Geräte wurden bereits in Europa auf ihre Qualität geprüft. Mit wenigen Handgriffen machen an den Werktischen studierte IT-Techniker die drei Jahre alten PCs wieder flott: Repariert, formatiert, poliert, mit Office- und Anti-Virus-Programm ausgestattet, geht der Pentium-III-Rechner dann für 175 Dollar über die Ladentheke, Rücknahme- und Jahresgarantie inklusive.
4.000 der vor einem Jahr importierten 6.000 PCs hat Green Computers bereits verkauft. Im nächsten Jahr sollten 10.000 importiert werden - doch jetzt macht der Importstopp dem Unternehmen einen Strich durch die Rechnung. "Wir verstehen das nicht. Der Präsident hat die Fabrik vergangenes Jahr selbst eröffnet", schüttelt Vijit Ratnarajah den Kopf. Der technische Berater von Unido schlendert durch die Lagerhalle von Green Computers: "Wir sind auf Importe angewiesen. In Uganda gibt es nicht genug reparaturbedürftige PCs, um unsere Kapazitäten zu decken", sagt er. Doch was ist mit den Rechnern unter den Dachgiebeln der Behörden? Sein Fazit: "Einen Pentium I oder II will auch in Uganda niemand mehr." Für diesen Elektroschrott müsse die Regierung eine Regelung finden.
Solange diese nicht existiert, bleibt auch Green Computers auf dem Schrott sitzen. Ratnarajah zeigt auf eine Ecke im Lagerraum. Dort stehen sechs Bildschirme, die beim Transport beschädigt wurden. "Wir könnten sie auch nach Europa zurückschiffen, um sie fachgerecht zu recyceln", seufzt er. Doch für solche Abfälle gebe es keine Exportbestimmungen.
Muhwezi von der Nema gibt zu: Man müsse diskutieren, ob sich das Importverbot nur auf "sehr alte" Modelle anwenden ließe. Im selben Atemzug verweist er jedoch auf die "preiswerten neuen Computer aus Indien oder China", die nun den ugandischen Markt erobern. "Cloned Computers" werden die Kisten genannt, die bereits in den Schaufenstern der indischen Läden stehen. Darin ist billige, zum Teil gefälschte Hardware wie in einem Baukastensystem zusammengesteckt. Immerhin, der Neupreis, 250 Dollar, liegt in der ugandischen Preisklasse.
Im "Speedinternet" lässt sich Jiemba vom Inhaber, Samuel Alioris, beraten. Soll er sich für seine Geschäftsidee noch gebrauchte Computer anschaffen oder doch auf die Clones umsatteln? Alioris deutet unter den Tisch, dort stehen drei davon. "Die habe ich vor acht Monaten gekauft, sie sind gleichzeitig kaputtgegangen", nickt er. Reparieren ließen sich die billigen Schaltkreise nicht. Die übrigen 18 Rechner, gebrauchte Markencomputer, "laufen seit drei Jahren einwandfrei." So kommen Jiemba und Alioris zum Schluss: Die neuen Clone-Computer erzeugen in Uganda ein Vielfaches an Elektroschrott im Vergleich zu den importierten gebrauchten Qualitätsrechnern. Diesen können ugandische Elektriker immerhin ein Second Life ermöglichen.
*Name geändert
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Dunkelflaute treibt Strompreis hoch
Endlich im Rampenlicht
Gründe für das Aus der SPD-Kanzler
Warum Scholz scheiterte
Habeck fordert Milliardärssteuer
Wer glaubt noch an Robert Hood?
Antifa-Aktion gegen Burschenschaft
Mauer gegen rechts mal praktisch
Jette Nietzard gibt sich kämpferisch
„Die Grüne Jugend wird auf die Barrikaden gehen“
Mehr Zugverkehr wagen
Holt endlich den Fernverkehr ins Deutschlandticket!