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Überm KesselrandMehr als Kehrwoche

Mit Sauberkeit, Sicherheit und Stabilität will Ruanda westliche Investoren vor allem in die Hauptstadt Kigali locken. Auf dem Land herrscht noch weitgehend Subsistenzwirtschaft. Kaum ein Tag beschreibt die ruandische Gesellschaft besser als der Umuganda, der viel mehr als die schwäbische Kehrwoche ist.

Die Ausgelassenheit macht auch vor dem Militär nicht halt. Foto: Malte Stieber

Von Florian Kaufmann, Malte Stieber und Angela Wolf

Putzen, tanzen, schimpfen – am letzten Samstag des Monats kommt die ruandische Gesellschaft zusammen. Mehr als 1.000 Menschen aus verschiedenen Dörfern im Grenzgebiet zu Uganda versammeln sich, um ihre Umgebung durch zusätzliche Bäume lebenswerter und sicherer zu machen. „Umuganda“ ist eine Mischung aus gemeinschaftlicher Arbeit, Volksfest und Bürgerfragestunde.

„Pflanze einen Baum und rette die Zukunft“ ist das Motto im Oktober im Norden Ruandas. Erosion und Erdrutsche bedrohen viele Menschen im kleinsten Land Ostafrikas. Um zu verhindern, dass Häuser und Lebensraum den Abhang herunterrutschen, werden überall im Land Bäume gepflanzt, die den Boden befestigen sollen. Schon am Vortag rufen Lautsprecherdurchsagen die Menschen zur Teilnahme auf und fordern, Harken und Schaufeln mitzubringen. Pünktlich um 8 Uhr strömen die Menschen aus den verschiedenen Dörfern zusammen. Kleine Baumsetzlinge werden ausgegeben, mit denen Jung und Alt auf die Berge steigen und um die ausgeschlagenen Stümpfe herum neue Bäume aussäen.

Armut und Klimawandel bedrohen Lebensgrundlage

Die Gegend gehört zu den ärmsten in einem Land mit einem durchschnittlichen Einkommen von zwei Euro pro Tag. Zum Bau ihrer Häuser und zum Kochen sind die Menschen auf das Holz angewiesen, für das in den letzten Jahrzehnten die Bäume der Umgebung gefällt wurden. Mit Aufforstung, effizienteren Kochstellen und Bildung wird seit den 2010er-Jahren versucht, den Waldbestand wiederherzustellen. Das Problem wurde durch die Folgen des Klimawandels verschärft.

Nach weniger als einer Stunde sind die 300 Bäume gepflanzt. Die Menschen ziehen zu einem Plateau, auf dem eine kleine Open-Air-Bühne aufgebaut ist. Laut singend und tanzend feiern sie Umuganda und irgendwie auch sich selbst. Der kleine Hügel ist bunt und laut, als Innenminister Alfred Gasana aus Kigali dazukommt. Alle Mitglieder des Kabinetts müssen monatlich an einer der vielen Umuganda-Aktionen im Land teilnehmen. In der Regierung haben sie danach Bericht zu erstatten, wie die Lebensbedingungen der Menschen jenseits der Großstadt Kigali sind. Als er mit dem Bürgermeister, einer Parlamentsabgeordneten und Ver­tre­te­r:in­nen der Regionalregierung auf die Bühne kommt, nimmt die Menschenmenge schlagartig Platz. Die hohen Gäste werden einzeln begrüßt und animieren die Menge zu Sprechchören nach Zusammenhalt, Frieden, Gemeinschaft, Fortschritt und Versöhnung.

Appelle an Frieden und Nachhaltigkeit

Die Aussöhnung der Gesellschaft ist ein zentrales Thema in einem Land, das vor nicht einmal 30 Jahren einen Genozid erlebte. Binnen dreier Monate wurden schätzungsweise eine Million Menschen überwiegend mit Macheten und bloßen Händen getötet. Die jahrzehntelangen Spannungen zwischen zwei von den ehemaligen Kolonialmächten konstruierten „Ethnien“, den Hutu und den Tutsi, kulminierten in einem der blutigsten Völkermorde der Geschichte. Bis heute ist die Gesellschaft traumatisiert und jenseits der offiziellen Geschichtserzählung sprachlos. Während die internationale Gemeinschaft zuschaute, beendete eine Tutsi-Miliz mit ihrem Einmarsch aus dem benachbarten Uganda im Juli 1994 das Abschlachten und führt seither das Land. Während das große wirtschaftliche Wachstum der vergangenen Jahre in Kigali zunehmend sichtbar wird, ist das Leben auf dem Land oft noch sehr einfach.

Nachdem der zuständige Bürgermeister Emmanuel Nzabonimpa versucht hat, die Fortschritte der letzten Monate aufzuzählen, setzen die anwesenden Po­li­ti­ke­r:in­nen zu langen Reden an. „Ein Baum bedeutet 200 Jahre Leben und frische Luft“, appelliert der eine an die Menge, die frisch gepflanzten Bäume zu erhalten und zu pflegen. Eine Abgeordnete des nationalen Parlaments mahnt die Landbevölkerung zu einem nachhaltigen Umgang mit Finanzen. „Wenn hier Geld investiert wird, spart und reinvestiert es statt es für Bier auszugeben.“ Über eine Stunde reiht sich Rede an Rede, die sich über Lautsprecher an das zunehmend schläfrige Publikum richtet. Lebhafter wird es erst wieder bei der Brandschutzschulung der Polizei, die den Umgang mit Feuer vorführt. Mit Benzin wird der Inhalt eines Kochtopfs zum Brennen gebracht und verschiedene Löschmethoden gezeigt. Die hinteren Reihen erheben sich und das Gelächter ist groß, als bei der Übung ein Dorfbewohner die Ladung des Feuerlöschers versehentlich ins Publikum statt in den Kochtopf sprüht.

Wut über lokale Missstände

Es beginnt die Aussprache am offenen Mikrofon, bei der während Umuganda traditionell gemeinsam Konflikte gelöst werden. Die erste Frau am Mikrofon beklagt sich über den zu niedrigen Milchpreis, den die Regierung eigentlich zur Förderung der Milchwirtschaft auf umgerechnet 30 Cent pro Liter fixieren wollte. Eilig verspricht Innenminister Gasana zu den eine schnelle Lösung. Für ein besseres Leben in Ruanda ist die Entwicklung auf dem Land entscheidend. Mehr als 80 Prozent der Bevölkerung leben in ländlichen Gebieten.

Nach erstem Zögern wird die Schlange am Mikrofon immer länger. Die Menschen nutzen die Möglichkeit, ihre Sorgen und Nöte, die sie von der lokalen Verwaltung nicht gelöst sehen, an höherer Stelle vorzutragen. Bevor sich Gasana zu den vorgetragenen Missständen äußert, fordert er die lokalen Stellen zur Stellungnahme auf. Der Bürgermeister gerät zunehmend unter Druck, als die Menschen von durch den Straßenbau zerstörten Häusern oder verlorenen Feldern berichten. Unter dem Jubel der Anwesenden verspricht der Innenminister unbürokratische Lösungen, die das Leben in den Dörfern verbessern sollen. In dem autoritär geführten Land, das auf Platz 142 der 176 im Demokratie-Index aufgeführten Nationen steht, ist der Tag sichtlich eine Gelegenheit, die Wut über soziale Probleme rauszulassen.

Immer mehr Menschen, fast ausschließlich Frauen, melden sich zu Wort. Nach knapp einer Stunde ist die Schlange so lang, dass die Befragung vorzeitig abgebrochen wird. Laute Musik aus den Boxen ist das Zeichen, dass die Menschen nach Hause gehen sollen, statt noch einmal einen letzten Tanz zu wagen. Die knapp vier Stunden haben den Menschen auf dem Land mindestens Abwechslung vom harten Alltag gebracht, und vielleicht wird ja auch irgendwann einer der Teilnehmer Recht behalten: „Mit Umuganda machen wir unser Leben in kleinen Schritten besser.“

Das Autorenteam Florian Kaufmann (Karlsruhe), Malte Stieber (Frankfurt/M.) und Angela Wolf (Frankfurt) war gerade mehrere Wochen in Ruanda, um dort zu den Folgen des Klimawandels zu recherchieren. Ihre Arbeit wird durch ein Recherchestipendium des Journalism Fund der EU unterstützt.

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