Übergriffe in Sachsen: "Für uns ist rechte Gewalt Alltag"
Opferberater Dominique John hält bei der Hetzjagd auf Inder in Mügeln rassistische Motive für wahrscheinlich. Passieren könne so etwas überall.
taz: Herr John, seit dem Wochenende schaut das Land entsetzt nach Mügeln, weil dort eine Gruppe Inder durch die Stadt gehetzt und verletzt wurde. Halten Sie diesen Vorfall für außergewöhnlich?
DOMINIQUE JOHN vom Verein "Opferperspektive" hat bis vor kurzem die ostdeutsche Beratung für Opfer rechter Gewalt koordiniert.
Dominique John: Natürlich macht so ein Fall erst mal sprachlos. Bis zu 50 Beteiligte - diese Größenordnung ist nicht alltäglich. Ich finde es richtig, dass viele Menschen jetzt aufhorchen. Allerdings ist auch dieser Fall nur ein weiterer in einer langen Reihe rechtsextremer Übergriffe. Als Opferberater ist für uns rechte Gewalt Alltag. Die wenigsten dieser Vorfälle finden noch die Aufmerksamkeit der Medien.
Die Polizei in Mügeln ist sich noch nicht sicher, ob es einen ausländerfeindlichen Hintergrund gibt. Wie bewerten Sie den Fall?
Nach allem, was ich bisher erlebt habe, ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass auch dieser Fall einen rassistischen Hintergrund hat. Die Polizei täte deshalb gut daran, erst einmal mit dieser These an den Fall heranzugehen. Wenn sie sich wider erwarten als falsch erweisen sollte - umso besser!
Halten Sie Mügeln für einen besonders gefährlicher Ort für Ausländer?
Ich kann schon verstehen, wenn sich Leute mit dunkler Hautfarbe jetzt sehr genau überlegen, ob sie da noch hinfahren oder nicht. Allerdings sind solche Gefahrenprognosen generell fragwürdig.
Warum?
Weil man damit so tut, als gebe es einige besonders gefährliche Orte und Orte, die harmlos sind. Die Erfahrung lehrt aber leider, dass sich ein solcher Fall überall ereignen kann. Die Statistiken belegen nur, dass es Bundesländer wie zum Beispiel Sachsen-Anhalt oder Sachsen gibt, in denen sich solche Taten häufiger ereignen als in anderen westdeutschen Ländern.
In letzter Zeit war oft zu hören, dass Rechtsextreme weniger gewalttätig seien als früher und versuchten, als netter Nazi von nebenan die Sympathien der Mitbürger zu gewinnen. Wie passt das zu Ihren Schilderungen?
Es scheint einige Landkreise zu geben, in denen die Rechtsextremen es strategisch für sinnvoll finden, sich mit gewalttätigen Übergriffen zurückzuhalten. Das ist aber bei weitem nicht überall der Fall. Insgesamt haben die Opferberatungsstellen im vergangenen Jahr in Ostdeutschland sogar einen leichten Anstieg der Gewalttaten registriert.
Würden Sie einem dunkelhäutigen Menschen noch empfehlen, zu später Stunde ein Stadtfest in Ostdeutschland zu besuchen?
Ich würde zwar nicht generell sagen: Geht da auf keinen Fall hin! Ich würde die Leute aber schon darauf hinweisen, was anderen Ausländern bei solchen Gelegenheiten in der Vergangenheit schon alles passiert ist. Meine Erfahrung lehrt mich: Man sollte sich da vorsichtig bewegen. Ich finde, das muss man ganz offen aussprechen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken
Waffen für die Ukraine
Bidens Taktik, Scholz’ Chance
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen