Übergriff im Wedding: Der Müll, der Jude und der Hausmeister
Eigentlich will ein israelischer Bistroinhaber nur einkaufen gehen. Dann sprüht ihm ein Hausmeister Reizgas ins Gesicht. Die Polizei schließt ein rassistisches Motiv aus.
Ein israelischer Staatsbürger hat einen Hausmeister aus dem Wedding wegen gefährlicher Körperverletzung angezeigt. Der Mann habe ihn aus nächster Nähe mit Reizgas attackiert. Der Hausmeister reagierte mit einer Gegenanzeige, als er von der Polizei mit dem Vorwurf konfrontiert wurde. Der Israeli habe ihn als „Nazi“, den man „vergasen sollte“, beschimpft und ihn geschubst. Darum der Pfeffersprayeinsatz. Ein Polizeisprecher spricht von einer undurchsichtigen Gemengelage. Der Staatsschutz habe zwar die Ermittlungen übernommen. Derzeit gebe es aber keine Anhaltspunkte für einen rassistischen Hintergrund.
Der Vorfall ereignete sich Montagvormittag in Wedding. Der 43-jährige Israeli ist Inhaber eines Bistros in der Innenstadt. Gegenüber der taz schildert er den Vorfall auf Englisch. Er spricht nur wenig deutsch. Mehrmals in der Woche fahre er in die Badstraße in den Wedding, um in einem türkischen Supermarkt Fleisch und Gemüse zu kaufen. Auch diesmal habe er seinen Wagen auf dem überdachten Kundenparkplatz hinter dem Geschäft geparkt. Mit leeren Kartons unter dem Arm – diese habe er immer im Auto, um seine Einkäufe zu transportieren – habe er sich in Richtung Supermarkt begeben, sei aber von einem Mann angehalten worden. Den Müll könne er hier nicht entsorgen, habe der ihn mit Blick auf die Kartons angebrüllt. Das habe er auch nicht vor, entgegnete der Bistroinhaber eigenen Angaben zufolge.
Er habe sich über den aggressiven Ton beschwert, sagt der Israeli. Der Mann indes habe sich weiter ereifert. Ob er Araber sei? „Nein, ich bin Jude“, habe er geantwortet, sagt der Israeli. Da sei der Mann weggerannt und kurz darauf mit einer 20 bis 30 Zentimeter großen Spraydose Reizgas zurückgekommen. „Er sprühte mir direkt in die Augen, zweimal rechts, zweimal links, und nebelte meinen ganzen Körper ein.“
An dem Parkplatz befindet sich ein Eingang zum Supermarkt. Halb wahnsinnig vor Schmerzen sei er dorthin getaumelt, sagt der Israeli. Die Angestellten des Ladens hätten ihm geholfen, seine Augen auszuwaschen: „25 Minuten konnte ich nichts sehen.“ Als er im Laden eine Täterbeschreibung abgab – 1,70 Meter groß, Brille, leichtes Übergewicht, deutsch –, habe es geheißen: „Den kennen wir.“ Das sei der Hausmeister des Gebäudekomplexes.
Zurück in seinem Bistro erstattete der Israeli Strafanzeige. Drei Beamten nahmen sie vor Ort in der Gaststätte auf. Sie seien sehr freundlich gewesen, sagt die deutsche Frau des Israeli. Ihr Mann stehe immer noch unter Schock: „Er fühlt sich total erniedrigt.“ Er sei in Israel geboren, seine Eltern seien aus dem Iran eingewanderte Juden. „Er wird oft für einen Araber gehalten.“
Als die Polizei beim Hausmeister vorsprach, soll er laut Pressestelle zu Protokoll gegeben haben, der Mann – gemeint ist der Israeli – habe Müll abladen wollen. Es sei zu einem Streit gekommen. Der Mann habe ihn beleidigt: „Ich bin Jude, du bist Nazi.“ Auch der Begriff „vergasen“ sei gefallen. Der Hausmeister will gesagt haben, dass er Pfefferspray besitze. Da habe ihn der Mann geschubst. Mit dem Reizgas habe er sich gewehrt.
In der Nacht zu Dienstag wurde der Israeli von Freunden ins Krankenhaus gebracht. Unter der Dusche hatte das Reizgas noch mal richtig Wirkung entfaltet. „Er hat geschrien, als würde er verbrennen. Als ich ins Bad kam, konnte ich nicht atmen, so beißend war die Luft“, schildert seine Frau. Nun ist ihr klar, warum ihre Lippen so lange brannten, nachdem sie ihm auf die Wange geküsst hatte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Netzgebühren für Unternehmen
Habeck will Stromkosten senken