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Überall sprießen Cliquen

■ Freizi-PädagogInnen raus auf die Straße? Fachtag zur mobilen Jugendarbeit

Wenn der Frühling kommt, müssen die Jugendämter wieder unzählige Anrufe von empörten BürgerInnen entgegennehmen. Tenor: „Da stehen so Jugendliche rum, die sind laut, die müssen da weg.“ Allerorten stehen jetzt wieder die Jugendlichen zusammen, auf Wendeplätzen, Schulhöfen und Spielplätzen. Ob in Huchting rund um die Rotterdamer Straße, ob auf dem Schulgelände in der Gottfried-Menken-Straße in der Neustadt, ob in Tenever oder in Kattenturm - dort sind allein sechs Cliquen bekannt, eine Russenclique zum Beispiel, eine Libanesenclique, mehrere deutsche ...

Und es werden immer mehr. Die klassischen Jugendverbände, seien es Pfadfinder oder katholische Jugend, beklagen Mitgliederschwund. Die Freizeitheime sind für viele Jugendliche nicht attraktive: „Die Jugendlichen möchten heute mehr für sich sein, nicht in der Freizeit dauernd auf Leute treffen, auf die sie keine Lust haben - Erwachsene machen das auch nicht“, sagt Andrea Müller von der Bildungsstätte Lidice-Haus. Deshalb lud Müller gestern Bremens JugendarbeiterInnen zu einem Fachtag über „Mobile Jugendarbeit“. Mit Unterstützung des großen Berliner Streetworkprojekts Gangway sollte die Grundlage geschaffen werden für einen Trägerverein, der in allen Bremer Stadtteilen die Arbeit auch mit nicht-auffälligen Straßencliquen initiiert.

Bislang gibt es cliquenorientierte Jugendarbeit nur mit rechtsgerichteten und gewaltbereiten Jugendlichen, außerdem die Fanprojekte mit fußballbegeisterten Jugendlichen. Erfahrungen in der Arbeit mit nicht-auffälligen Straßencliquen haben bislang nur die Stadtteile Tenever und Grolland gemacht. In Tenever ist es gerade gelungen, eine Türken- und eine Aussiedlerclique nach herben Prügeleien an einen Tisch zu bekommen.

In Grolland haben seit mittlerweile zehn Jahren Jugendliche die Schlüsselgewalt über einen Raum in einer Schule, sie haben die Selbstverwaltung innerhalb eines Vereins gelernt. Die einzige Festangestellte, Sabine Diers, hat jetzt auch mit anderen Schulhof-Cliquen in der Neustadt Kontakt aufgenommen, hätte auch noch einen Container auf Halde - nur, sie allein kann die nicht auch noch betreuen. Sie sucht händeringend einen Träger, der die Verantwortung für neue Räume übernimmt.

In Bremen West und Bremen Nord wird bislang offenbar noch gar keine aufsuchende Arbeit betrieben. Bernd Krause vom Amt für Soziale Dienste West sieht dazu in der jetzigen Personalsituation keine Möglichkeit: „Auch die großen Jugendhäuser haben gerade mal drei Mitarbeiter - da ist es nicht möglich, auch noch zur aufsuchenden Arbeit rauszugehen.“Ach, meint dazu Hans-Günther Schwalm vom Amt für Soziale Dienste Süd, die Freizis könnten doch darüber nachdenken, ob sie nicht einzelne Räume mitsamt Schlüsseln an Cliquen abgeben sollten.

Was eigentlich sollen die Streetworker den Jugendlichen anbieten, nur sich selbst zum Gespräch, einen Raum? Die Berliner haben zum Beispiel in Kreuzberg große Graffiti-Wettbewerbe gemacht, oder fahren die Jugendlichen mit dem Kleinbus in verfeindete Quartiere. Räume seien gar nicht immer das Wichtigste, im Sommer werde schließlich die ganze Stadt zum Abenteuerspielplatz. Im Bremer Umland geht ein Sozialarbeiter mit seiner Clique angeln – da werden auch die Wildesten ruhig.

Die aufsuchende Arbeit soll sich keinesfalls nur auf auffällige Gruppen beschränken, da waren sich dei SozialarbeiterInnen gestern einig, diese Arbeit soll vielmehr verhindern, daß Jugendliche überhaupt nennenswert straffällig werden oder süchtig. Schon jetzt fragen viele Cliquen: „Müssen wir denn erst Scheiben einschlagen, daß sich jemand um uns kümmert?“

Christine Holch

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