Über die Schwierigkeit, sich loszulösen: Wir trägen Netzbewohner
Facebook nervt, Google hortet, Apple grenzt aus – und doch nutzen wir alle iPhones, wir suchen bei Google und pflegen unsere Facebook-Seiten. Warum nur?
Manchmal träume ich davon, die Kontrolle über meine Daten zurückzugewinnen. So wie damals, als man noch eigene Websites hatte und E-Mails am Desktop abspeicherte. Ich will mir die Kontrolle von Google, Facebook und den ganzen anderen Kunst- und Wunderkammern des Web 2.0 zurückholen.
Vor ein paar Monaten habe ich ein Blog auf meinem eigenen Webspace eingerichtet. Das war ein erster Schritt dazu. Das Blog ist meines, ich kann bestimmen, was mit den Daten geschieht und wie sie dargestellt werden. Das weiss auch der Blogger und Internet-Schlaumeier Sascha Lobo, der in seiner Spiegel-Kolumne schreibt, man könne „auf einem Blog machen, was man möchte.“
Aber er stellt auch fest: „Ärgerlicherweise bedeutet das auch, dass man machen muss, was man möchte. Und dauernd möchten zu müssen ist recht energieaufwendig“. Das habe ich gemerkt. Ein Blog einzurichten ist nicht schwierig, aber da man mehr Kontrolle hat, muss man mehr Entscheidungen treffen. Um gute Entscheidungen zu treffen, muss man sich informieren. Das braucht Zeit.
Der nächste Schritt in die digitale Freiheit wäre es gewesen, statt Gmail die E-Mail-Adresse zu verwenden, die in meinem Webhosting-Paket inkludiert ist. Aber nach dem Aufwand mit dem Blog hatte ich darauf keine Lust mehr.
Kritik ohne Konsequenz
Wem gehört das Internet? Amazon oder Wikileaks? Anonymous oder Facebook? In der sonntaz vom 29. Dezember widmen wir uns den Machtverhältnissen im Netz. Wir erzählen, wie Amazon unsere Wünsche aus seinen Daten liest, wie ein Pop-Song um die Welt treibt und wie Facebook uns zu permanent urlaubenden Dauergrinsern macht. Am Kiosk, //www.taz.de/zeitung/e-paper/e-kiosk/:eKiosk oder gleich im //www.taz.de/zeitung/abo/Wochenendabo:Wochenendabo
Fast niemand steht den großen Internet-Firmen unkritisch gegenüber. Sie würden zu viel Macht und Kapital anhäufen, heißt es. Es könne doch nicht sein, dass Google und Facebook sich das Internet aufteilen; die Menge an Daten, die sie sammeln, sei ungeheuerlich. Ebenso wie die Tatsache, dass man bei all diesen teuren Apple-Produkte nicht mal den Akku wechseln kann. Amazon verdränge doch die kleinen Händler von nebenan. Schweinerei, das alles.
Trotzdem bleiben wir ihnen treu. Noch schnell vor Weihnachten ein neues iPhone wäre schön; alle Alternativen kommen sowieso mit Googles Android. Aus Facebook kann man doch nicht einfach so aussteigen, dort sind doch alle Freunde. Eigentlich lehnen wir die Herrscher der digitalen Welt ab, trotzdem lösen wir uns nicht von ihnen. Warum eigentlich?
Hält mich nur der Aufwand von einem Wechsel meiner E-Mail-Adresse ab? Ich müsste meine E-Mails und meine Kontakte exportieren und meine Freunde darüber informieren, dass ich jetzt unter einer anderen E-Mail-Adresse erreichbar bin. Der Aufwand ist überschaubar. Als Gmail eingeführt wurde, habe ich ihn auch nicht gescheut. Doch da ist noch etwas anderes: Trotz aller Bedenken mag ich meine Social-Media-Dienste, meine Gadgets, meine digitalen Zauberdinge und den bunten Feeenstaub des Netzes.
Einmal liebgewonnen, immer treu
Das wird mir klar, wenn ich mir überlege, warum ich damals auf Gmail gewechselt haben. 2005, bin ich mit Freude darauf umgestiegen. Gmail war cool. Es bot den Komfort eines Desktop-E-Mail Programms und gleichzeitig die Flexibilität von Webmail. Es führte neue Bedienkonzepte ein, die E-Mail übersichtlicher machten. Ich war der erste in meinem Freundeskreis, der dort einen Account hatte und habe mehrere meiner Freunde zum Wechseln bewegt.
Auch Google als Suchmaschine bin ich treu geblieben. Mit Apple, Facebook oder Amazon geht es mir ähnlich. Es ist eine Form von emotionaler Bindung, die mich bei bestimmten Firmen hält. Die ist dadurch entstanden, dass mir irgendwann einmal die Angebote dieser Firmen neue Möglichkeiten eröffnet haben. Es ist eine symbiotische Beziehung. Sie haben mir geholfen, Dinge zu tun, die gut zu meinem Selbstbild passten, dafür habe ich sie in mein Selbstbild integriert.
Sich auf etwas Neues einzulassen ist immer auch mit schwer absehbaren Risiken verbunden. Selbst wenn das Altbewährte sich gar nicht so gut bewährt: Man kennt dessen Schwächen, man weiß, worauf man sich einlässt. Begeisterung hilft, diesen Trägheitsmoment zu überwinden. Gleichwertige Alternativen reichen nicht: So lange sie nur genauso gut sind und mir keine Verbesserung versprechen, bin ich offenbar nicht zum Wechseln zu motivieren.
Im Widerspruch zu sich selbst
Markentreue nennt man das. Die Markentreue erzeugt kognitive Dissonanz. Mit diesem Begriff bezeichnet die Psychologie dem Zustand, der eintritt, wenn sich der Mensch in Widerspruch zu sich selbst begibt, indem er das eine denkt, aber das andere tut. Menschen mögen keine kognitive Dissonanz und und legen sich Rechtfertigungsstrategien zurecht, um sie aufzulösen. Kognitive Dissonanz ist die Verbeugung des Verstandes vor dem Gefühl.
Ich bleibe bei Google, Facebook, Amazon und Apple, so lange ich mich nicht für Alternativen begeistern kann. Mir widerstrebt es, meine Daten und mein Geld mächtigen und undurchsichtigen Großkonzernen zu überlassen. Aber deren Angebote funktionieren nach wie vor. Im Übrigen werde ich auch aufhören zu rauchen, nur noch gebrauchte oder fair produzierte Kleidung kaufen und kein Fleisch mehr essen. Irgendwann halt.
Geht es Ihnen ähnlich? Wie halten Sie's mit dem Internet und seinen Großmächten? Finden Sie die Bedenken übertrieben oder leben auch Sie in kognitiver Dissonanz? Oder haben Sie sich gar ein Stück digitale Unabhängigkeit geschaffen? Wir würden uns freuen, wenn Sie uns die Geschichten erzählen, die Sie mit Facebook, Google, Apple oder Amazon verbindet – oder die Sie von Ihnen trennt. Am 29. Dezember wird sich eine komplette sonntaz der Frage widmen: „Wer hat die Macht im Netz?“ Danach würden wir gern Ihre Anekdoten drucken. Kommentieren Sie also gern hier oder schreiben Sie an sonntaz@taz.de
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