Udo Kittelman über Kunst: "Berlin ist entschieden anders"
Immer für einen Einfall gut: Mit Udo Kittelmann kommt ein unorthodoxer Ausstellungsmacher an die Nationalgalerie in Berlin. Ein Gespräch über den idealen Ort für ein Kunstwerk.
taz: Udo Kittelmann, weshalb widmen Sie einem Künstler wie Takashi Murakami im Frankfurter Museum für Moderne Kunst eine große Überblicksschau? Seine unternehmerische Qualität - etwa ein erfolgreich in die Schau integrierter Verkaufsshop - besteht eher darin, im schnellen Fahrwasser des Marktes zu schwimmen, als dagegen zu wirken.
Vom Augenoptiker zum Direktor der Nationalgalerie in Berlin. Die Karriere von Udo Kittelmann ist beispiellos. Richtig begann sie, als er 1994 Direktor des Kölnischen Kunstvereins wurde. Nach seinem preisgekrönten Beitrag als Kommissar des Deutschen Pavillons bei der Venedig-Biennale 2001 wurde er im Jahr darauf zum Direktor des Frankfurter Museum für Moderne Kunst (MMK) ernannt. Dort holte er vor seinem Weggang nach Berlin mit seiner letzten Ausstellung noch einmal zum großen Schlag gegen den Originalitätsanspruch der Gegenwartskunst aus. Im gesamten Museum wurde aufwändig Freiraum geschaffen für etliche Großplastiken, für Figuren, Gemälde, Zeichentrickfilme sowie für exklusive Designerhandtaschen - entworfen hat die Exponate dieser Einzelschau der japanische Gegenwartskünstler Takashi Murakami. Als Dienstleistung am Publikum bezeichnet der neue Direktor der Berliner Nationalgalerie die von ihm mit kuratierte Ausstellung. Den Vorwurf einer Kommerzialisierung des Museums wehrt er ab. Zufrieden kann Kittelmann auf seine Zeit als Direktor am MMK allemal zurückblicken, während der es ihm gelang, die Sammlung durch Neuankäufe um bedeutende Gegenwartskunst zu erweitern. 2006 griff er nach dem Abzug rund 500 privater Leihgaben aus dem MMK zu einem bis dahin ungewöhnlichen Modell und erwarb mit zwei weiteren Museen die Sammlung Rolf Ricke. Als Chef der Nationalgalerie wird er insgesamt sechs Berliner Kunsthäuser betreuen: Alte und Neue Nationalgalerie, Hamburger Bahnhof, Sammlung Berggruen, Sammlung Scharf-Gerstenberg und Friedrichswerdersche Kirche.
Udo Kittelmann: Ich möchte meine Augen als Leiter einer Kunstinstitution nicht vor solchen künstlerischen Produktionen verschließen müssen, die allein schon deswegen kritisiert werden, weil sie kommerziell erfolgreich sind. Vielmehr hielt ich es für angebracht, Murakamis Position auch in Deutschland erstmals einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen, um sie zur Diskussion zu stellen. Wenn Sie Murakami vor dem Hintergrund der japanischen Kunsttradition betrachten, entdecken Sie geradezu abgründige Tiefen in seinem Werk. Flach ist sein Werk sicherlich nicht! Würde ich ihm eine hohe künstlerische Qualität absprechen, hätte ich es bestimmt nicht ausgestellt. Takashi Murakami, Jeff Koons oder Damien Hirst gehören als ein Phänomen der Gegenwartskunst zusammen, und ich halte es für eine bemerkenswerte Koinzidenz, dass Koons im Mies-van-der-Rohe-Bau der Berliner Nationalgalerie ausgestellt wird. Koons, der ähnlich wie Murakami lange als zu kommerziell kritisiert wurde, ist inzwischen zu einer gewichtigen Künstlerfigur unserer Zeit avanciert - sein Werk hätte ich auch gerne zum Thema einer Ausstellung gemacht.
Ihre letzte Ausstellung in Frankfurt macht endgültig Tabula rasa mit der gewohnten Sammlungspräsentation. Könnte Murakamis illustrative Comicwelt ähnlich dicht den Hamburger Bahnhof in Berlin bespielen?
Ich hätte Murakami auch im Hamburger Bahnhof präsentieren können, allerdings hätte ich ihm nicht, wie aktuell im MMK, das ganze Museum gewidmet. Der Hamburger Bahnhof stellt seine ganz eigenen Bedingungen, und Berlin ist ein entschieden anderer Ort als Frankfurt. Davon abhängig gilt es nun, andere Perspektiven zu entwickeln. Das Profil des Hamburger Bahnhofs sollte aber nicht an einzelnen künstlerischen Positionen festgemacht werden, eher doch an einer selbstbewussten Haltung gegenüber der Gegenwartskunst und ihren vielfältigen Ausdrucksformen. Dazu gehört es auch, die Sammlung weiter in die Zukunft zu denken.
Als Direktor der Berliner Nationalgalerien erwartet Sie nicht nur ein Mehr an Aufgaben, die unterschiedlichen Sammlungen bieten auch mehr Möglichkeiten. Welche Ideen gehen dem Ausstellungsmacher, Udo Kittelmann, durch den Kopf in Anbetracht einer Zeitskala, die von der Kunst um 1900 in der Alten Nationalgalerie bis ins 21. Jahrhundert im Hamburger Bahnhof reicht?
Zunächst einmal stellt man sich die Frage, was es bedeutet, die Zukunft dieser Häuser mit ihren fantastischen Sammlungen mitverantworten und mitgestalten zu können. In Anbetracht der vielen Möglichkeiten, die sich aufgrund der unterschiedlichen Sammlungsprofile auftun, bleiben zunächst mehr offene Fragen, als dass man sofort Antworten finden könnte. Ideen müssen sich auch langfristig behaupten können. Was ich aber schon jetzt feststellen kann, ist, dass gerade durch das für mich nun so erweiterte Zeitspektrum der Sammlungen sich auch eine neue Freiheit des Denkens eröffnet.
Gibt es von Ihrer Seite Überlegungen, die Sammlungen zu bündeln, indem man diese beispielsweise an einem Ort zusammenlegt?
Nein. Wie sollte denn auch ein Ort aussehen, der allen Sammlungen entsprechen würde? Es kann doch nicht darum gehen, die teilweise über Jahrzehnte entwickelten Sammlungsprofile der einzelnen Häuser in Zweifel zu ziehen. Es ist mir aber wichtig, die Sammlungen verschiedener Epochen verstärkt zusammen zu denken. Und natürlich geht es auch immer darum, gegebene Ordnungen kritisch zu beleuchten und nach ihrer aktuellen Gültigkeit zu befragen.
Das alles wird vermutlich nur gelingen, wenn Sie ein häuserübergreifendes Konzept erarbeiten?
Was ich gemeinsam mit meinen Mitarbeitern erreichen möchte, ist, dass die einzelnen zur Nationalgalerie gehörenden Häuser in Zukunft verstärkter als Gesamtheit ins Bewusstsein rücken. Dies bedeutet aber nicht, dass die spezifischen Rollen der Häuser in Frage gestellt werden. So verfügt beispielsweise die Alte Nationalgalerie über eine hervorragende Sammlungspräsentation, welche die Aura des 19. Jahrhunderts aufleben lässt, sobald man das Museum betritt. Ich hielte es an diesem Ort daher nur für sehr bedingt sinnvoll, hier beispielsweise mit aktueller Kunst zu intervenieren.
Welche Herausforderung bedeutet für Sie die Alte Nationalgalerie, bedenkt man, dass Ihr Schwerpunkt bislang in der größtmöglichen Vernetzung der zeitgenössischen Kunstströmungen bestand?
Insbesondere das 19. Jahrhundert zeichnet sich schon als eine Epoche aus, die eine ganze Reihe sogenannter Universalgenies versammelt, heute würde man sie als Multitalente bezeichnen. Sie alle haben über verschiedene Fachrichtungen hinweg ihr Werk entwickelt. Man denke nur an Alexander von Humboldt oder an Carl Gustav Carus, der nicht nur Arzt und Naturwissenschaftler war, sondern auch ein bildender Künstler. Seinem Werk widmet im Übrigen die Alte Nationalgalerie 2009 gemeinsam mit der Dresdner Gemäldegalerie eine große Ausstellung. Der Herausforderung eines erweiterten Blicks, sozusagen über den sprichwörtlichen Tellerrand hinaus, den vor allem Künstler immer wieder haben, so auch Carus, dieser Herausforderung sollten sich Kunstinstitutionen in jeder Zeit stellen.
Am MMK haben sich Ihre unorthodoxen Ausstellungsmethoden auch in finanziell prekären Zeiten bewährt. Nachdem das Museum 500 private Leihgaben verlor, zögerten Sie nicht, eine Ausstellung mit im Internet ersteigerten Dingen zu inszenieren, um diese später erneut zu versteigern. Lässt sich das spektakuläre Spiel mit der Originalität von Kunst in Berlin fortführen?
Die Ebay-Ausstellung war keine Reaktion auf den Verlust der abgezogenen Werke, sondern beabsichtigte, Kunst und Nicht-Kunst in dialogische Zusammenhänge zu setzen. Die Ausstellung war eine Enzyklopädie der Dinge, die sich nicht von der Grenzziehung zwischen Kunst und Nicht-Kunst einschränken ließ. Da gerieten natürlich traditionelle Vorstellungen gehörig in Unordnung. Es wird sich zeigen, welche Ausstellungserfahrungen wie auch Sammlungsmodelle von Frankfurt nach Berlin übertragen werden können. Originalität ist aber doch ein grundlegender Wesenszug von Kunst.
Weshalb planen Sie, Thomas Demands fotografisches Werk als eine der ersten Ausstellungen unter Ihrer Direktion in Berlin zu zeigen?
Darauf gibt es zu diesem frühen Zeitpunkt nur eine Antwort: weil ich ihn für eine der wichtigsten Künstlerpersönlichkeiten unserer Zeit halte. Spätestens aber mit Eröffnung der Ausstellung im Herbst 2009 wird sicherlich sehr deutlich werden, warum ich gerade Thomas Demand und dieses Ausstellungsprojekt als prädestiniert für die Nationalgalerie erachte.
Könnte es eine Perspektive für den Mies-van-der-Rohe-Bau sein, dort künftig größere Wechselschauen stattfinden zu lassen und die Sammlung der Neuen Nationalgalerie auszulagern?
Wie die Kunst selbst müssen auch die Orte der Kunst immer wieder kritisch befragt werden, in Hinsicht darauf, ob sie noch immer funktionieren. Jedes Kunstwerk sucht seinen idealen Ort, und wenn man diesen für eine Sammlung schaffen kann, halte ich deren Verlagerung in ein anderes Haus für sinnvoll.
Wenn Sie selbst vor der Wahl stünden, würden Sie die Friedrich-Christian-Flick-Collection als Schenkung annehmen?
Ja, unbedingt. Durch die kürzlich getätigte Schenkung von über 150 Werken aus der Flick-Sammlung hat die Nationalgalerie einen wichtigen Zuwachs an Gegenwartskunst erhalten, von Bruce Nauman über Dieter Roth bis hin zu Paul McCarthy. Schenkungen solch substanzieller Werke sind doch ein außerordentliches Ereignis für ein Museum, eröffnen sie doch immer auch neue Perspektiven.
Wohin mit dem Potenzial der zahlreichen jungen Berliner Künstler - zählen diese nun zum Fokus der neuen Temporären Kunsthalle?
Berlin verfügt über einen großen kulturellen Reichtum, dazu zählt das Potenzial der vielen hier lebenden Künstler, der zahlreich eröffnenden privaten wie öffentlichen Kunstinstitutionen und der Galerien. Mit Sicherheit werde auch ich Impulse von dieser Vielfalt aufnehmen. Und ich bin davon überzeugt, dass sich die Nationalgalerie und die Temporäre Kunsthalle in Bereich zeitgenössischer Kunst ganz wunderbar in Zukunft ergänzen werden.
INTERVIEW HORTENSE PISANO
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