USA zwischen Angst und Aufstand : Stadt der Depression
Auf der Suche nach erfolgversprechendem Widerstand gegen den Trumpismus reist unser Autor von Pennsylvania bis in den Norden Kaliforniens.

taz FUTURZWEI | Westcoast Baby. Das wollte ich schon immer mal sagen, und dieser Morgen eignet sich perfekt dafür.
Es riecht nach Kaffee, aus dem Küchenradio läuft Joan Baez. Und die Klimaanlage röchelt durch das geriffelte Fenster über mir.
Ich halte mich gerade in den USA auf, um an einem College in Pennsylvania Workshops im Kreativen Schreiben zu geben und fahre außerdem im Land herum, um herauszufinden, wie die Leute hier auf die Veränderungen unter Trump reagieren. An diesem Morgen bin ich im äußersten Norden Kaliforniens, mitten in Crescent City, einer kleinen, flachgebäudigen Stadt am Pazifik, in der es ein Lighthouse, jetzt im Frühjahr wohl viele Wale, Drogenabhänige und lauter lonesome riders mit tollen Geschichten gibt.
Aron Boks und Ruth Fuentes schreiben die taz FUTURZWEI-Kolumne „Stimme meiner Generation“.
Boks, 27, wurde 1997 in Wernigerode geboren und lebt als Slam Poet und Schriftsteller in Berlin.
Fuentes, 29, wurde 1995 in Kaiserslautern geboren und war bis Januar 2023 taz Panter Volontärin.
Brother against Sister
Ich wohne bei Betty, einer 79-jährigen Hippie-Rentnerin. An den Wänden hängen Penisfiguren, und im Flur steht eine Schaufensterpuppe, in Richard-Nixon-Wahlwerbung gekleidet. Während ich mir das seltsame Teil ansehe, öffnet sich eine Zimmertür, aus der sich Betty mit einem Rollator schiebt. Sie trägt eine regenbogenfarbene Brille in Herzform, graue Haare und ein breites Lächeln. „Ja, das ist Ironie“, sagt sie Richtung Nixon-Puppe und schüttelt belustigt den Kopf. „Meine Mutter war eine echte Republikanerin, aber kurz bevor sie gestorben ist, hat sie noch Hillary Clinton gewählt!“
Betty kommt ursprünglich aus Ost-Ohio, und vor 20 Jahren nach Kalifornien zu ziehen, war die beste Entscheidung ihres Lebens, sagt sie. Es ist nicht schwer, hier mit den Leuten ins Gespräch zu kommen, aber die für mich – als neugierigen „alien allowed to work“ – so spannende politische Lage scheint an vielen Orten ein Thema zu sein, das im Alltag gern gemieden wird, weil es Probleme bringen kann.
„Das ist wie im Bürgerkrieg“, sagt Betty und erzählt, dass sie in Ohio eine Nichte und einen Neffen hat, die seit der ersten Wahl von Donald Trump im Jahr 2016 nicht mehr miteinander sprechen. „Brother against Sister”.
„Bist du legal hier?“
In der letzten Kolumne wollte ich wissen, ob die Leute in den USA darüber sprechen, wer was gewählt hat. In meinem Wohnort Easton, Pennsylvania, wird das selten thematisiert. Das Konfliktpotenzial scheint zu groß, schließlich liegt die Stadt im Northampton County, dem zur Wahl 2024 am meisten umkämpfte Bezirk im Swingstate, den am Ende Trump knapp gewonnen hat. Und was ist mit der knappen Hälfte, die Trump nicht wollte und will?
Während im Land vor allem Bernie Sanders und Alexandria Ocasio-Cortez aktiv auftreten, um gegen Trump zu mobilisieren, gab es sonst bei den Demokratischen nur sehr dürftigen Widerstand. Punktuell kommt es im Land zu Protesten.
taz FUTURZWEI, das Magazin für Zukunft – Ausgabe N°32: Wozu Kinder?
Kinder und Jugendliche sind die politisch ignorierteste Randgruppe der Gesellschaft. Dabei muss diese Minigruppe demnächst die vielen Renten bezahlen und den ganzen Laden am Laufen halten. Was muss sich ändern?
Mit Aladin El-Mafaalani, Marlene Engelhorn, Arno Frank, Ruth Fuentes, Maja Göpel, Robert Habeck, Celine Keller, Wolf Lotter, Lily Mauch, Luisa Neubauer, Henrike von Scheliha, Stephan Wackwitz und Harald Welzer.
Auch in meinem neuen Homestate Pennsylvania:
An dem Tag, an dem weltweit gegen Tesla protestiert wurde, treffe ich im kleinen Städtchen namens „King of Prussia“ um die 200 Leute, die an einer Schnellstraße mit Transparenten gegen Musk als Bedrohung für die Demokratie protestieren. Einen Tag später versammeln sich wieder ungefähr 200 vor allem 40 bis 70-jährige Leute, dazu ein paar 20-somethings, in meinem Wohnort Easton, um gegen die Regierung zu protestieren.
Sie rufen einander dazu auf, weiterzumachen, mehr und lauter zu werden. Irgendwann kommen auch drei Trump-Supporter, um zu stören. Eine um die 70-jährige Frau mit braun gefärbten Haaren, Softshell-Jacke und einem „Raging Granny“-Schild gerät in einen Streit mit einer rothaarigen Altersgenossin, die Jagd-Camouflage-Jacke und „Make America Great Again“-Cap trägt.
Sie habe Sorge vor kriminellen immigrants und linksradikalen Politiker:innen, die Raging Granny hat wiederum Angst um die Demokratie im Land. Als ich mich vorstelle, packt sie mich am Arm und schreit ihr Gegenüber an. „Und ihn?“, ruft sie aufgebracht. “Würdest du ihn auch deporten?“
„Bist du legal hier?“, fragt mich die Rothaarige streng. „Äh, ja“, antworte ich und sehe, wie ihr Gesicht aufhellt. „Na, dann hast du doch nichts zu befürchten!“
Um uns herum hält eine Demonstrantin ein bemaltes Transparent, auf dem „Hope over Fear“ steht, gegen ein blau-rotes „TRUMP/VANCE“-Schild.
Widerstand – aber wie?
Zurück nach Kalifornien:
„Ziviler Ungehorsam ist das Wichtigste, was wir in der derzeitigen Lage gerade haben“, sagt Betty und stützt sich an ihrem Rollator ab. „Gleichzeitig braucht es jemandem, der das Ganze anführt.“ Ich sehe sie an, und sie winkt entschlossen ab. „No, no … ich bin zu alt für so etwas!“, sagt sie. Als sie jung war, habe sie gegen den Vietnamkrieg protestiert, erklärt sie und empfiehlt mir eine kastenförmige Betonbar, in der ich noch mit anderen Leuten sprechen kann.
Die Tische in der Bar sind leer. Am Tresen sitzen acht Männer und eine Frau um den Barkeeper verteilt. Als ich mich dazusetze, denke ich über das Gespräch mit Betty nach. Gerade scheint der meiste Druck auf der Zivilgesellschaft zu liegen, die die Verfassung und Demokratie verteidigen muss. Zeitgleich schürt die Regierung auch sehr gezielt Verunsicherung und macht den Leuten Angst, sich zu organisieren. Etwa indem sie einigen Colleges androht, Fördermittel zu streichen, wenn die nicht die von der Trump-Regierung veränderte Policy zum „Kampf gegen Wokeness” übernehmen.
Kurz bevor ich nach Kalifornien gekommen bin, habe ich in Oregon in einem Esoterikladen zwischen Tarotkarten und Energiesteinen eine Hardcoverversion der US-Constitution gesehen. „Die habe ich dahin gestellt, weil unser Präsident die Verfassung von der Website des Weißen Hauses genommen hat”, sagte mir die Verkäuferin.
Man könnte sagen: Die Leute scheinen bereit zum Protest gegen den Trumpismus zu sein, aber dem Protest fehlt es bisher bisher an neuem Denken und neuen Methoden, um dagegen anzukommen, dass dem liberal-demokratischen Fortschritt mit Geld, Macht und Gewalt zunehmend Grenzen gesetzt werden.
Eine Rednerin bei dem Protest in Easton hat die Leute aufgefordert, teach ins zu veranstalten, um die Leute aufzuklären. In Pennsylvania haben mir viele gesagt, dass sie zunächst zeigen wollen, dass es überhaupt Widerstand in den USA gibt. Aber was kann dieser Protest gegen die Macht der Regierung und der regierungsfreundlichen Medien und Richter im Land bewirken? Braucht es, wie Betty sagt, zivilen Ungehorsam, um gegen die Radikalität der Regierung anzukommen? Es muss doch irgendetwas passieren, denke ich, während ich in Crescent City, Kalifornien, am Tresen sitze.
Die Stadt der Depression
Ein um die 40 Jahre alter Typ mit Basecap und glasigen Augen setzt sich zu mir und reicht mir ein Bier.
„Weißt du, Junge, ich nenne diese Stadt die Stadt der Depression“, sagt er, als er mit mir anstößt. „Kommst du von hier?“, frage ich. „Nee, ich bin Fischer.“
„Also fährst du morgen raus?“
“Nee, muss arbeiten.”
Viel weiter geht das Gespräch nicht. Und irgendwie passt dieser Dialog zu dem, was Betty mir gesagt hat. „Gerade ist es so, als würde jemand dein Haus angezündet haben, aber auch das Haus deines Nachbarn brennt und das Haus daneben.“
Das Gefährlichste an der Angst ist vermutlich das Misstrauen gegeneinander, der Rückzug ins Private und schließlich die Lähmung, denke ich, als ich mein Glas Bier austrinke. Als ich zahlen will, hat der Fischer das schon für mich erledigt. Ich nehme das als gutes Zeichen.
🐾 „Stimme meiner Generation“ heißt die gemeinsame Online-Kolumne von Aron Bocks und Ruth Lang Fuentes. In loser Folge schreiben sie darin für unser Magazin taz FUTURZWEI über die Lebensrealität der Gen Z und darüber hinaus.
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