US-Vorwahlen: Wahlkampf im Wohnzimmer
In Iowa entscheiden Anhänger von Republikanern und Demokraten, wer als Nachfolger für Präsident Bush kandidiert. Gute Chancen haben die Aufsteiger Huckabee und Obama.
DES MOINES taz Es ist nicht übertrieben, Iowa als ein riesiges, topfebenes Maisfeld im Herzen Amerikas zu beschreiben. Hier, wo die Sommer brütend heiß und die Winter klirrend kalt sind, wird Mais angebaut und neuerdings in Rekordmengen Ethanol produziert. Der Staat lebt gut vom Boom der Biokraftstoffe und von den reichlich herbeigepumpten Washingtoner Subventionen dafür.
In den US-weiten Vorwahlen, den sogenannten Primaries, ermitteln sowohl die republikanische als auch die demokratische Partei, welcher Kandidat die größte Zustimmung erhält. Nominiert werden die Gewinner auf Nominierungsparteitagen. Ende August kommen in Denver die Demokraten zusammen, die Republikaner versammeln sich Anfang September in Minneapolis. Der oder die Nachfolgerin von Präsident George W. Bush wird dann am 4. November gewählt.
Die Serie der Vorwahlen in den insgesamt 50 US-Bundesstaaten beginnt am heutigen Donnerstag traditionell mit Wahlversammlungen in Iowa. An insgesamt 1.784 Orten werden sich bei diesen Caucuses Parteimitglieder und ortsansässige Anhänger versammeln, um in einem komplizierten, Iowa-spezifischen Verfahren über die Bewerber abzustimmen. Sowohl bei den Demokraten als auch bei den Republikanern liefern sich jeweils drei Spitzenkandidaten seit Wochen einen erbitterten Vorwahlkampf.
Fünf Tage nach den Caucuses in Iowa folgen die Primaries im Bundesstaat New Hampshire. Die Vorwahlen werden sich bis Anfang Juni mit den letzten Abstimmungen in den Staaten New Mexico und South Dakota hinziehen. Eine Vorentscheidung über die Präsidentschaftskandidaten könnte schon am 5. Februar fallen. An diesem sogenannten Tsunamidienstag entscheiden die Wählenden in rund der Hälfte der 50 Bundesstaaten über ihren Favoriten für die Präsidentschaftskandidatur ihrer Partei. An diesem Tag wird auch in den Bundesstaaten New York und Kalifornien abgestimmt. In diesen Staaten können die Kandidaten eine große Zahl von Delegiertenstimmen für die Nominierungsparteitage gewinnen.
Warum ausgerechnet in diesem ansonsten wenig beachteten Flecken der USA sich seit Monaten alle kandidierenden Präsidentschaftsanwärter die Klinke in die Hand geben, ist für Außenstehende schwer zu verstehen. "Es ist halt Tradition", sagen die einen. "Man muss halt irgendwo anfangen mit dem Wählen", die anderen.
Seit den 1970er Jahren fallen alle vier Jahre die Kandidaten, die Kampagnenhelfer, die Plakatierer, die Millionen-Dollar-Etats und die TV-Spots über Iowa herein. "Wenn wir am Tag nur 15 Anrufe kriegen, war es mal ein ruhiger Tag", sagt Elsie McGuire, eine eingetragene demokratische Wählerin aus Des Moines, der Hauptstadt Iowas. Seit Monaten quillt ihr Briefkasten mit der Werbepost der Kandidaten über, das Telefon klingelt, an der Tür klopfen ständig junge Wahlhelferinnen und möchten sich mit ihr über ihren Politiker unterhalten.
Elsie McGuire scheint es irgendwie zu genießen. "Wissen Sie, es ist so eine große Verantwortung, die wir zu tragen haben, das ist aufregend", sagt die Hausfrau. Sie weiß, dass der Ausgang der Vorwahl in Iowa, dass ihre Stimme für manchen Kandidaten und erst recht für die USA schicksalsentscheidend sein wird.
Wer in Iowa gewinnt, sagen die politischen Analysten im fernen Washington, der wird auf die Überholspur katapultiert. Wer hier verliert, dem hängt die Niederlage wie ein Betonklotz am Bein. In diesem Wahlkampf ist erstmals der Terminplan der Vorwahlen so eng gestrickt, dass die Sieger in Iowa gute Chancen haben, auf der Welle des Erfolgs bis Ende Januar, möglicherweise bis zum "Tsunamidienstag" am 5. Februar segeln zu können. Das ist gut für Aufsteiger wie den Demokraten Barack Obama oder den Republikaner Mike Huckabee - und schlecht für die etablierten Politiker wie Hillary Clinton und John McCain. Die Newcomer könnten den Schwung aus Iowa am ehesten nutzen, glauben die Analysten, um die landesweit rund 40 Prozent der noch immer Unentschlossenen zu mobilisieren.
Elsie McGuire glaubt, dass sie sich bis Donnerstag wird entscheiden können. Sie hat alle Briefe gelesen, die ihr die Wahlkampfteams von Hillary Clinton, John Edwards und Barack Obama geschickt haben. Sie hat mit den Wahlhelfenden der drei Kandidaten diskutiert. Sie hat zahlreiche Auftritte der Kandidaten in Wohnzimmern und Sporthallen besucht.
Die vorbildliche Wählerin fragte Hillary nach ihren Plänen für den Truppenrückzug aus dem Irak, Barack Obama nach seinen Plänen für ein besseres Gesundheitssystem und John Edwards nach seinen Ideen für den Kampf gegen die Armut im Lande. McGuire macht es sich nicht leicht. "Es ist verdammt schwer, weil es so wichtig ist, wie wir hier abstimmen", sagt sie am Morgen nach Silvester.
Um sich einen weiteren Eindruck zu verschaffen, ist Elsie McGuire, nachdem sie in der Silvesternacht bei einer Veranstaltung der Clintons war, am Morgen danach zur Obama-Rede in einer Schule mitten in Des Moins gekommen. Der Saal tobt, Junge und Alte jubeln Obama zu.
Obama ist im Aufwind, nach einer Umfrage hat er Hillary in Iowa längst abgehängt. Dennoch wirkt er nicht euphorisch. Er hält eine ernste Rede über die Hoffnung auf Änderung und die "heftige Dringlichkeit des Jetzt", ein etwas sperriges Zitat des Friedensnobelpreisträgers Martin Luther King. Im Hintergrund hängt ein Plakat "Wechsel - an den wir glauben können".
Die Ermordung der pakistanischen Politikerin Benazir Bhutto hat Elsie McGuire wieder von vorne nachdenken lassen. Was ist wichtiger für Amerika, fragt sie sich mehrmals täglich. Jemand wie Hillary, die Erfahrung hat und den Kampf gegen den Terror zu einer Priorität macht? Oder jemand wie Obama, der jung ist, frische Ideen, aber wenig realpolitische Erfahrung hat?
Die Fragen am anderen Ende der Stadt und des politischen Spektrums klingen nicht viel anders. Für den Tag nach Silvester hat eine junge Familie, Ann und Andy Warren aus dem wohlhabenden Des Moiner Vorort Clive, den republikanischen Kandidaten Mitt Romney in ihr Wohnzimmer eingeladen.
Der Ex-Gouverneur des Bundesstaates Massachusetts, Mormone und Multimillionär, führte bis Dezember bequem das republikanische Bewerberfeld in Iowa an. Seit wenigen Wochen aber setzt ihm der Außenseiter und evangelikale Exgouverneur von Arkansas, Mike Huckabee, heftig zu. Nach neuesten Umfragen soll Huckabee Romney sogar schon in der Wählergunst überholt haben.
"House Party Huddle" steht im Wahlkampfkalender, darunter die Adresse der Warrens. Als immer mehr Fernsehteams und Nachbarn hereindrängen, gibt Ann es auf, die Gäste zu bitten, sich die Schuhe auszuziehen. Knapp 80 Nachbarn, Neugierige, Kinder, Alte, und Wahlkampfhelfer drängen sich in der großen Wohnküche, die ins Wohnzimmer übergeht. Einer der Nachbarn, die an diesem Nachmittag gekommen sind, ist Allison Best. Die Mutter zweier Kinder und Hausfrau ist seit langem überzeugte Republikanerin.
Für Allison Best ist klar, dass die Haltung zur nationalen Sicherheit das A und O eines geeigneten Kandidaten ist. Da die Welt in ihren Augen immer gefährlicher wird, will sie sicher sein, dass ihr Kandidat nicht lange fackelt, wenn es um die Sicherheit Amerikas - und ihrer Kinder - geht. Denn "die Terroristen werden Amerika weiterhin angreifen wollen", ist sie überzeugt. Probleme wie das Gesundheitswesen, Schulen und Armut sind für sie, die einen gut verdienenden Ehemann hat, nicht so drängend. "Wir haben das beste Gesundheitssystem der Welt, täglich kommen tausende Menschen in die USA, um sich behandeln zu lassen, da sehe ich kein großes Problem", meint sie.
Zu Rudy Giuliani, dem Exbürgermeister von New York, könne sie kaum etwas sagen. Er sei zwar bekannt für sein gutes Management New Yorks nach den Attacken vom 11. September 2001. Aber in Iowa habe er sich als Einziger kaum blicken lassen. Mike Huckabee sei für sie, die selbst Evangelikale ist, nicht überzeugend genug, da er illegalen Immigranten gegenüber zu nachlässig gewesen sein soll. Romney sei der Einzige, ist sie sicher, der die Persönlichkeit habe, das Land zu führen. Dass er Mormone ist, irritiert sie nicht. "Ich würde auch einen Juden wählen, wenn er mich überzeugt." Als Mitt Romney sich schließlich durch die Terrassentür bis vor den Kamin gezwängt hat, schüttelt ihm Allison begeistert die Hand. "Governor", sagt Allison, "Sie sind mein Mann!"
Einer, der diesen Satz seit wenigen Tagen zu Mike Huckabee sagt, ist Scott Sales. Der Barbier und Herrenfriseur hat kurzzeitig nationale Berühmtheit erlangt, weil sich Huckabee neulich bei ihm die Haare schneiden und rasieren ließ. Zehn Fernsehteams seien in seinem winzigen Barbierladen gewesen, während er Huckabee die Rasierklinge an den Hals hielt, erzählt er lachend. Der junge Mann trägt eine gelbschwarze Lederjacke und ist an diesem ersten Januarabend zum großen Mike-Huckabee-Showauftritt in einem Des Moiner Tanzpalast gekommen. Der Exgouverneur hat ihm fast 30 Dollar Trinkgeld gegeben, das nenne er "sehr anständig", sagt Scott Sales. Er selbst ist Katholik, daher schätzt er an Huckabee die strikte Haltung gegen Abtreibung, für die Ehe und familiäre Werte. "Gleichzeitig ist er so positiv drauf, er will Amerika nicht spalten, er spricht stets von wir, nicht wie Romney: Ich, Ich, Ich", erklärt Sales.
Während oben auf der Bühne eine Band guten alten Rock n Roll spielt und die Einheizer Stimmung für Huckabee machen, drängen sich über 2.000 Menschen in die Halle. Es ist an diesem Tag der Besucherrekord in Des Moines und ein Rekord für den Nobody aus Arkansas. Huckabee sagt, Romney verfüge über 20-mal mehr Geld als er, was zeige, dass es bei dieser Wahl um "Charakter und nicht um Geld" gehe.
Auf die Bühne kommt Huckabee mit Hemd ohne Krawatte, in rotem Pullover und blauem Jackett. Er wirkt, als käme er gerade aus dem Urlaub. Er witzelt. Er frotzelt. Er lacht und erinnert mehrmals daran, am Donnerstag zum Caucus zu gehen. Mehr nicht. Huckabee überlässt das Mikrofon seinem Joker und Star-Unterstützer, dem Actionhelden Chuck Norris. Der erklärt, was so toll an "Mike" ist, und dass er demnächst für ihn ein Riesen-Sponsorenbarbecue auf seiner gigantischen Ranch in Texas veranstalten will. Dann greift Huckabee, 51, wie bei allen Abendveranstaltungen davor auch, zur E-Gitarre und rockt gemeinsam mit der Band "Sweet Home Alabama". Mit Huckabee, sagt Scott Sales, "macht Amerika plötzlich einfach wieder Spaß."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Frauen in der ukrainischen Armee
„An der Front sind wir alle gleich“