US-Verbraucher sollen Konsum anheizen: Schuldenmachen wird Bürgerpflicht
US-Finanzminister Paulson greift zu Plan B: Er will den Banken nicht länger kriselnde Wertpapiere abkaufen, sondern die US-Wirtschaft mit Hilfe der Verbraucher stützen.
BERLIN taz Die US-Regierung hat Zweifel an der Wirksamkeit ihrer bisherigen Strategie zur Bekämpfung der Finanzkrise bekommen und kündigte jetzt einen Richtungswechsel an. Künftig soll die Sicherung der Verbraucherkredite im Mittelpunkt der Rettungsmaßnahmen stehen. Das neue Ziel lautet, die Vergabe von Auto- und Studentendarlehen sowie von Kreditkarten zu fördern.
Das Anfang Oktober verabschiedete Rettungspaket der US-Regierung sah bislang vor, den Finanzinstituten illiquide Wertpapiere abzukaufen - insbesondere die minderwertigen Hypotheken, die der Auslöser der aktuellen Krise waren. Auf diese Weise sollten die Banken sich von den hohen Risiken in ihren Bilanzen befreien, um sich endlich wieder ihrem eigentlichen Geschäft widmen zu können: der Vergabe von Krediten an die Wirtschaft. Doch die Kreditvergabe kam trotz des Angebots, die Risikopapiere aufzukaufen, nicht wieder in Gang. "Unsere Einschätzung zum jetzigen Zeitpunkt ist, dass das nicht die effektivste Art war, die Programmmittel zu verwenden", erklärte Finanzminister Henry Paulson auf einer Pressekonferenz.
Die kriselnden Hypothekenpapiere seien gar nicht der springende Punkt, glaubt Paulson jetzt. Entscheidend sei vielmehr der Konsum. Rund 70 Prozent der US-Wirtschaft wird durch den privaten Verbrauch getragen. Und der findet zumeist auf Pump statt. Die Verbraucherkredite, oftmals in Form von Kreditkartenschulden, werden dann häufig von den Banken gebündelt und weiterverkauft - ganz so, wie es zuvor mit den Hypotheken geschehen war. Verbriefung heißt diese Verwandlung von Schulden in handelbare Wertpapiere im Fachjargon. Der Markt für verbriefte Verbraucherkredite sei "derzeit in Bedrängnis", so Paulson. Er sei für die US-Ökonomie jedoch von zentraler Bedeutung. Volkswirte warnen schon seit längerem, dass sich die verbrieften und weiterverkauften Kreditkartenschulden zum nächsten Brandherd zu entwickeln drohten. Gerade erst hat sich American Express sicherheitshalber vom reinen Kreditkartenanbieter in eine Bank verwandelt, um so auch in den Genuss der staatlichen Hilfen für Banken zu kommen.
Von den 700 Milliarden Dollar, die ursprünglich für das Rettungspaket vorgesehen wurden, ist bereits fast die Hälfte ausgegeben. Jetzt wird Unmut im Kongress laut, wie mit dem Geld umgegangen wird. Zum einen hätte die Regierung die Banken von vornherein dazu zwingen sollen, sich im Gegenzug für die Hilfen zur Vergabe neuer Kredite zu verpflichten. Zum anderen habe die Regierung nach wie vor nur ein Herz für Banker - Finanzminister Paulson war vor seinem Sprung in die Politik selber einer. Der Kongress aber fordert Unterstützung auch für die angeschlagenen Autokonzerne und die in Zahlungsschwierigkeiten geratenen Hauskäufer. Dem Verband der US-Hypothekenbanken nach wurden allein im dritten Quartal dieses Jahres 765.000 Häuser zwangsversteigert. "Einen Teil des Geldes zu nutzen, Zwangsversteigerungen zu verhindern, war nicht nur eine Überlegung, sondern zentraler Punkt des Rettungspakets", monierte der Vorsitzende des Finanzausschusses im Abgeordnetenhaus, Barney Frank.
Auch die Börsianer reagierten nicht gerade erfreut. Die Kurse an der Wall Street fielen auf die Ankündigung hin, dass keine kriselnden Wertpapiere mehr aufgekauft würden. Eine weitere Kritik an den neuen Regierungsplänen kommt von Ökonomen: Die Überschuldung der US-Haushalte sei immerhin eines der grundlegenden Probleme, die zur Destabilisierung des Finanzsystems geführt habe. Die jetzt geplanten Maßnahmen würden dieses Problem aber nur noch verschlimmern. NICOLA LIEBERT
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Trump macht Selenskyj für Andauern des Kriegs verantwortlich
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links