US-Offensive in Südafghanistan: "Dolchstoß" gegen "Stahlnetz"

Die US-Truppen erproben eine neue Strategie, mit der sie eroberte Gebiete halten und aufbauen wollen. Doch die Taliban leisten zähen Widerstand.

US-Soldat in der afghanischen Provinz Helmand. Bild: dpa

BERLIN taz | Der Schamalan-Kanal und seine Seitenarme machen die südafghanische Wüste fruchtbar. Aprikosen- und Mandelgärten grünen, Weizen steht auf den Feldern. Und immer wieder Mohn. "Grüne Zone" nennen die 3.300 britischen Isaf-Soldaten, die hier seit 2006 sind, diese Gegend. Die US-Ingenieure, die den Kanal in den 1950er Jahren bauten, ahnten nicht, dass sie Land urbar machten, auf dem Jahrzehnte später fast die halbe Weltopiummohn-Ernte eingebracht werden würde.

Davon profitieren auch die Taliban, die bis Ende Juni fünf der 13 Distrikte Helmands kontrollierten, einer Provinz fast so gross wie Bayern. Am 2. Juli wurden sie aus Nawa und Khaneschin vertrieben. 4.000 zusätzliche US-Marines, 700 Briten und 650 afghanische Soldaten tragen dort "den Kampf zu den Taliban", wie es Präsident Barack Obama im März in seiner neuen Strategie angekündigt hatte. "Dolchstoß", "Fluss-Freiheit" und "Pantherklaue" heißen die Operationen.

In den eroberten Distrikten sollen die Kommandeure innerhalb von 24 Stunden Ältestenräte einberufen und sich unter die Leute mischen. Brigadegeneral Larry Nicholson kaufte schon im Basar von Garmser Melonen und plauderte mit Händlern. Helmands Gouverneur Munib Mangal führte in Khaneschin einen Distriktgouverneur und einen Polizeichef in ihre Ämter ein und ließ erste Wähler registrieren.

Die Marines gehören zu den 20.000 Soldaten, die Obama zusätzlich nach Afghanistan beordert hat, damit die Präsidentenwahl am 20. August auch in bisherigen Taliban-Hochburgen stattfinden kann. Der Unterschied zu früheren Operationen ist laut Nicholson "der massive Umfang der eingesetzten Kräfte, die Geschwindigkeit, mit der das geschieht, und der Fakt, dass wir bleiben werden". "Räumen, halten und aufbauen" heisst das neue US-Konzept. Der Erfolg soll nicht mehr anhand der Zahl getöteter Gegner gemessen werden. Für den Wiederaufbau soll der parallele zivile "surge" sorgen, der mangels Freiwilliger aber noch auf sich warten lässt.

"Unsere Truppen machen Fortschritte bei dem Versuch, das Gebiet zu sichern", erklärte der britische Premier Gordon Brown zur Lage in Helmand. Ein kanadischer General sieht den Gegner gar in "Unordnung" begriffen. Ein Kabuler Sprecher teilte am 12. Juli mit, Briten und Afghanen hätten bis dahin "150 bis 200" Aufständische getötet. Sonst ist wenig konkretes zu erfahren. Die Verteidigungsministerien in Washington und London melden seit Tagen nur die Personalien Gefallener.

Aus den spärlichen Medienberichten wird aber deutlich, dass der Vormarsch sehr zäh und mit hohen Verlusten verbunden ist. Punktuell leisten die Taliban harten Widerstand. US-Generalstabschef Mike Mullen bescheinigte ihnen, "sehr viel besser organisiert" zu sein als bisher. Britische Soldaten berichten von "Geisterkämpfern" mit "hervorragenden Gefechtsfeldfähigkeiten". Die Sprengfallen der Taliban fordern mehr Opfer denn je. Die Briten verloren allein am 10. Juli acht Mann. Meist weichen die Taliban einfach aus. Manche bis nach Kundus, wo die deutschen Isaf-Truppen seit April zunehmend unter Druck geraten. Gruppen von 50 bis 60 Mann greifen Bundeswehr-Patrouillen an und fliehen auch nicht bei Gegenwehr. Vier deutsche Soldaten wurden bisher getötet, wenig im Vergleich zu dem, was Briten, Amerikaner und Kanadier im Süden einstecken müssen.

Die einzigen Augenzeugenberichte kommen von Flüchtlingen und den wenigen afghanischen Journalisten, die sich nach Helmand wagen. Der afghanische Rote Halbmond spricht von hunderten Vertriebenen, Genaueres wisse man nicht. Einwohner klagen, dass "Panzer" ihre Felder verwüsten. Von zivilen Opfern und Hausdurchsuchungen ist bisher nicht die Rede. "Die Leute können noch nicht sagen, ob die Operation gut oder schlecht ist und halten sich zurück", zitieren afghanische Medien einen örtlichen "Beobachter" in Khaneschin. "Sie fürchten, die Truppen bleiben nur ein paar Tage und lassen die Leute mit den Taliban dann wieder allein." Auf diese Unsicherheit bauen die Taliban. Sie warnen auf Flugblättern die Bevölkerung davor, mit den Ausländern zu kooperieren. Man habe die Gegenoperation "Stahlnetz" gestartet, in der sich "der Dolchstoß verfangen" werde.

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