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US-MILITÄR IN GEORGIEN: RÜCKSICHT IST EINE MORALISCHE KATEGORIEPutin weiß, was ein Imperium ist

Ganz überraschend kommt die Entsendung der US-Ausbilder nach Georgien für den Kreml nicht. Russlands Generalstab und die Türkei verhandeln seit längerem über zukünftige Zuständigkeiten und Einflusssphären an der russischen Südflanke. Lässt Moskau nach Zentralasien die USA nun auch noch in den Kaukasus vorrücken?

Eins hat man in Moskau inzwischen begriffen. Die Anti-Terror-Koalition ist für die USA kein Selbstzweck, sie schmieden Koalitionen je nach der Aufgabe, die es zu bewältigen gilt. Rücksichtnahme ist eine moralische Kategorie, das wissen auch die ehemaligen Verwalter des Sowjetimperiums. Und für eine gleichberechtigte strategische Partnerschaft mit Washington ist Russland noch auf lange Sicht zu schwach.

Indes betrachtet ein Großteil der politischen Elite und der Bevölkerung zehn Jahre nach dem Zusammenbruch der UdSSR Zentralasien und den Kaukasus nach wie vor als Russlands angestammten Vorhof, wo nur Moskau den Ton anzugeben habe. Der Phantomschmerz der Amputation flackert periodisch immer mal wieder auf. Nicht zu Unrecht verweisen die alten Sowjetrecken auf das ordnungspolitische Vakuum, das der Kollaps der Sowjetunion in den Südregionen hinterlassen hat. Dort, wo es heute fundamentalistisch rumort, hielt früher der Kreml den Deckel drauf. Die Schlussfolgerung, Rechtsnachfolger Russland hätte daher auch einen Anspruch auf die Fortschreibung seiner Vorherrschaft, greift unterdessen zu kurz. Mehr als die militärische Knute hat Russland zurzeit nicht anzubieten. Es laboriert selbst an seinem Zivilisationsmodell – und an Tschetschenien – herum und ist von Dominanz durch wirtschaftliche Potenz noch sehr weit entfernt. Wenn dem militärischen Eingriff in Zentralasien und im Kaukasus ein großzügiges wirtschaftliches Hilfsprogramm folgt, dürfte in dieser Region allmählich Ruhe einkehren. Es mag in den Ohren vieler Russen zynisch klingen, doch der Kreml dürfte über die Intervention der USA froh sein. Denn mit der Ruhe an der empfindsamen Südgrenze wächst auch die Sicherheit für das Mutterland. KLAUS-HELGE DONATH

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