US-Gesundheitsreform: Wichtige Hürde genommen
Mit nur fünf Stimmen Mehrheit verabschiedet das Repräsentantenhaus den Gesetzentwurf. Obama nennt das Ergebnis "historisch". Nun muss der Senat entscheiden.
WASHINGTON taz | Die Gesundheitsreform ist für US-Präsident Barack Obama zum Greifen nah: Kurz vor Mitternacht hat am Samstag das Repräsentantenhaus in Washington einen entsprechenden Gesetzentwurf verabschiedet - wenn auch mit knapper Mehrheit: 220 Abgeordnete stimmten - mit der Stimme eines Republikaners - dafür, 215 votierten dagegen. Unter ihnen auch 39 Demokraten. Obama begrüßte die Abstimmung wenige Minuten später als "historisch".
Das 218. "Yay" kam um 23 Uhr und 8 Minuten und sorgte für tosenden Jubel unter den Demokraten. Als dann auch noch Joseph Cao aus Louisianna als einsamer Republikaner das Lager der Befürworter stärkte, gab es erst recht großen Beifall. Allen war klar: Der Durchbruch im quälendsten Dauerstreit, der die Obama-Regierung seit Monaten nahezu lahmgelegt hat, ist gemacht. Strahlend verlas Abgeordneten-Chefin Nancy Pelosi das Ergebnis "220 Stimmen dafür, 215 dagegen. Das Gesetz ist verabschiedet."
Die Reform werde das Versprechen eines bezahlbaren Gesundheitssystems für die Amerikaner Wirklichkeit werden lassen. Eine erschwingliche Krankenversicherung werde ihnen "Stabilität und Sicherheit" geben, hieß es in einer Stellungnahme des Weißen Hauses. Den ganzen Tag lang hatten die Parlamentarier über Obamas wichtigstes innenpolitisches Thema debattiert, bevor sie sich auf eine Kompromisslösung einigen konnten. Noch am Vormittag hatte Obama sie angefeuert: "Es ist Zeit, die Aufgabe zu erledigen!" Amerika sei näher an der Verwirklichung der seit Jahrzehnten überfälligen Gesundheitsreform als je zuvor.
Mit ihr sollen bis zu 46 Millionen US-Amerikaner, die derzeit ohne jeglichen Krankenversicherungsschutz sind, versichert werden. Die Kosten für die nächsten zehn Jahre werden auf rund eine Billion veranschlagt. Nach der Reform sind so gut wie alle Arbeitgeber verpflichtet, ihre Angestellten zu versichern, wenn sie nicht eine Strafsteuer von 8 Prozent zahlen möchten. Denen, die das selber tun müssen, aber finanziell nicht dazu in der Lage sind, soll der Staat unter die Arme greifen.
Nach dem Gesetz dürfen die Krankenversicherungen keinen Neuzugang aufgrund seiner Vorgeschichte abweisen.
Besonders an einem Streitpunkt drohte die Abstimmung für die Befürworter der Reform zu scheitern: die Abtreibung, die auch in den Reihen von Obamas Partei sehr viele Gegner hat. In einem gesonderten Votum hatten sich die Demokraten daher noch schnell auf einen Kompromiss geeinigt. Danach sollen die Versicherungen nur noch im Fall von Vergewaltigung, Inzest oder etwa dann zahlen, wenn das Leben der Mutter in Gefahr ist.
Der jetzt verabschiedete Gesetzentwurf sieht auch die Einführung einer staatlichen Krankenversicherung als Alternative zu privaten Anbietern vor. Gegen diese sogenannte "öffentliche" Option laufen vor allem die Republikaner Sturm. Für sie grenzt das Projekt an Sozialismus. Auch unter den Demokraten hat Obama noch viele Gegner, die vor allem die hohen Kosten der Versicherung fürchten. "Das amerikanische Volk muss verstehen, dass es hier darum geht, dass die Regierung das gesamte Gesundheitssystem übernimmt", warnte etwa der Abgeordnete Paul Broun (Georgia).
Das derzeitige Gesundheitssystem in den USA gilt als das teuerste der Welt. Es basiert auf der Überzeugung, dass jeder Bürger selber für seine Krankenversicherung verantwortlich ist. Der Staat greift nur in Ausnahmefällen - bei Armut, Rentnern oder Armeeangehörigen ein. Besonders viele junge, gesunde US-Bürger sehen die Notwenigkeit einer staatlich verordneten Versicherung nicht, die sie Geld kostet.
Obama äußerte sich nach dem Votum von seinem Wochenendsitz Camp David aus zuversichtlich, dass auch der Senat für das Projekt stimmen werde und die Reform bis zum Ende des Jahres unterschriftsreif sei. Dieses erklärte Ziel wäre für ihn - nach zahlreichen innenpolitischen Schlappen - von großer Bedeutung. "Dies ist unser Moment, um die Gesundheitsversorgung in diesem Land zu revolutionieren", triumphierte auch der kalifornische demokratische Abgeordnete George Miller.
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