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US-GesundheitsreformObama will die Abstimmung

Es ist US-Präsident Obama inzwischen egal, ob sich die Gesundheitsreform politisch lohnt oder nicht. Er will die Abstimmung bis Ostern und nutzt einen Verfahrenstrick.

US-Präsident Obama wird bei seiner Rede von "Weißkitteln" begleitet, um die Wichtigkeit der Gesundheitsreform zu betonen. Bild: dpa

WASHINGTON taz | Es soll das Machtwort zum Ende einer in die Länge gezogenen Debatte sein: Barack Obama will die Gesundheitsreform in den USA bis zur Osterpause durch den Kongress bringen. "Wir haben ein Jahr lang diskutiert", sagte er in Washington, "alles, was über das Thema zu sagen war, ist gesagt worden. Jetzt muß abgestimmt werden - dafür oder dagegen."

Der US-Präsident verspricht, dass die Reform den Millionen von nicht versicherten US-Amerikanern Versicherungsschutz bringen wird, dass die reichsten Amerikaner zusätzliche Steuern zur Finanzierung der Krankenversicherung für sozial Schwache zahlen werden und dass die Exzesse der Versicherungen künftig besser kontrolliert werden.

Unter anderem sollen die Ausschlussklauseln von "vorab bestehenden Bedingungen" fallen. Hinter diese Klauseln ziehen sich Versicherungen zurück, wenn sie die Kosten für bestimmte Behandlungen nicht übernehmen wollen. Opfer dieser Klauseln sind auch Neugeborene, die mit einer Behinderung zur Welt kommen.

Als Kulisse für sein Machtwort hat Obama Ärzte und Krankenschwestern in Dienstkleidung gewählt. Zusammen mit ihnen tritt er am Mittwochnachmittag im East Room im Weißen Haus vor die Kameras. Im selben Raum hat er ein Jahr zuvor die Gesundheitsreform angestoßen. Seither sind alle Anläufe, die Gesundheitsreform im normalen parlamentarischen Verfahren durchzusetzen, gescheitert.

Zwar hat der Senat bei einer Abstimmung am Heiligabend die Reform in der ersten Lesung mit der nötigen großen parlamentarischen Mehrheit von 60:40 Stimmen angenommen. Doch seit Ende Januar bei Nachwahlen in Massachusetts der Republikaner Scott Brown den Senatorensitz des verstorbenen Demokraten Ted Kennedy übernahm, existiert diese "Super-Mehrheit" nicht mehr.

In einer zweiten Lesung im normalen parlamentarischen Verfahren hätte die Reform keine Chance mehr. In einem letzten Versuch, einzelne Republikaner auf seine Seite zu ziehen, hat Obama in der vergangenen Woche einen siebenstündigen "Gesundheitsgipfel" organisiert, der im Fernsehen live übertragen wurde. Doch es war eine Debatte von Taubstummen. Sie brachte keinerlei Annäherungen.

Die Gesundheitsreform und das Versprechen einer Krankenversicherung für alle, war ein Kernstück in Obamas Wahlkampf. Seither laufen die Republikaner Sturm dagegen. Unterstützt von rechten Graswurzelbewegungen protestieren sie gegen einen "starken Staat", gegen Steuererhöhungen und gegen mehr Kontrolle – sowohl der einzelnen Bürger, als auch der Versicherungen.

Um die Reform zu retten, bleibt Präsident Obama jetzt nur noch der Verfahrenstrick der "reconciliation". Bei der Rede im East Room erwähnt er das Stichwort nicht. Doch er lässt keinen Zweifel daran, daß er das Gesetzt auf dem Wege der "reconciliation" haben will. Dabei ersetzt eine einfache Mehrheit die "Super-Mehrheit".

Doch selbst diese einfache Mehrheit ist nicht sicher. Denn auch die Demokraten sind versucht, gegen die Reform zu stimmen. Sie treibt unter anderem die Sorge vor den zu erwartenden Kosten – Obama beziffert sie auf rund 100 Milliarden Dollar pro Jahr. Und der Unmut an der Basis. Bei Umfragen sind zur Zeit nur 25 Prozent der Amerikaner für die Reform in der jetzigen Version.

Und kaum hat der Präsident am Mittwoch zuende gesprochen, beginnt der erwartete Sturm der Entrüstung. Rechts beschwören Republikaner eine Kostenlawine und versprechen ihren Widerstand. Links bedauern demokratische Politiker wie Anthony Weiner in New York, daß Obama die Gründung einer staatlichen Alternative zu den ausschließlich privaten Krankenversicherungen letztlich verworfen hat.

"Die Sache muss erledigt werden", sagt Präsident Obama. Und fügt hinzu, daß er nicht weiß, ob es sich politisch "lohnt". Oder nicht. Tatsächlich riskiert er viel. Einerseits kann er seine unpopulär gewordene Reform nicht beerdigen, ohne politisch das Gesicht zu verlieren. Andererseits ist nicht ausgeschlossen, dass ihn seine eigene Mehrheit im Stich lässt.

Selbst wenn die Gesundheitsreform bis Ostern im Verfahren der "reconciliation" gelingt, ist damit keineswegs der Streit darüber beendet. Der republikanische Senator Mitch McConnell hat bereits die nächste Schlacht im Wahlkampf vor den Mid-Term-Elections im November angekündigt. "Falls das Gesetz durchgeht", hat McConnell gesagt, "wird jeder republikanische Kandidat Kampagne für seine Abschaffung machen."

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3 Kommentare

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  • N
    Noqbert

    An Rod.

    Die Zahl der Toten, die versichert sind wohlgemerkt, liegt im den USA bei 25000 Menschen im Jahr!

    Da bezahlt die private Krankenversicherung eine Teuer OP oder Krebsbehandlung einfach nicht.

    Michael Moores Dokufilm Sicko zeigt das ganze Ausmaß der Abzocke, auf Kosten von Menschenleben in den USA.

  • M
    mdarge

    Bei uns wird die Diskussion in Amerika nur mit einem halben Ohr gehört. Doch es geht hier darum, ob die Privatversicherer, die Maßgeblich an er Finanzkrise 2008 beteiligt waren, ihr Monopol für den Gesundheitsmarkt weiter ausbauen können, oder ob der Bürger, um dessen Gesundheit es geht, eine Wahlmöglichkeit bekommt.

     

    Das betrifft insbesondere uns, denn die von der FDP geforderte Kopfpauschale entspricht dem Beitragssystem der Privatversicherer. Sobald es eingeführt ist, werden die gesetzlichen Krankenkassen sukzessive von den großen Versicherungskonzernen aufgekauft, die dann international Fusionieren. Auf diese Weise wird eine Finanzmacht entstehen, die mächtiger wird als selbst die Regierung der Vereinigten Staaten.

     

    Was Obama macht, ist das Bohren ganz dicker Bretter, wo sich das Schicksal der Welt mittelfristig entscheidet. Statt seine Methoden in Frage zu stellen, sollte er unsere dreifache Unterstützung erhalten. Ob er mit offenen Mehrheiten gewinnt oder nur mit taktischen Mitteln, dass wird später nicht einmal Historiker interessieren. Es wird geradezu so getan, als würde die Gegenseite keine taktischen und noch ganz andere Tricks anwenden. Wenn Obamas Versicherungssystem erst einmal eingeführt ist, dann lässt es sich immer noch optimieren. Wichtig ist, dass es so schnell wie möglich kommt.

  • R
    Rod

    Ich habe mehrere Jahre in Deutschland für eine private Krankenversicherung gearbeitet. Die privaten Krankenversicherungen nehmen nur gesunde Menschen als Mitglied auf und wenn jemand krank wird, dann versuchen sie sich aus den Verträgen herauszuwinden. Dann wird nach kleinsten Fehlern in der vorvertraglichen Anzeigepflicht usw. gesucht um irgendwo einen Weg zu finden den unliebsam erkrankten Kunden loszuwerden.

     

    Ausschlüsse von Erkrankungen und hohe Selbstbehalte sind bei den privaten Krankenversicherungen an der Tagesordnung. Das bezahlt der Erkrankte von vornherein aus eigener Tasche - sofern er das Geld dazu hat.

     

    Private Krankenversicherungen ködern junge Menschen mit billigen Tarifen, aber das dicke Ende kommt erst im Alter. Um die Eintrittstarife für junge Leute günstig zu halten werden erstens immer wieder neue Tarife aufgelegt und zweitens viel zu wenig Alterungsrückstellungen gebildet. Wenn ein neuer Tarif kommt wird der alte für Neuzugänge geschlossen. Die darin verbleibende Gruppe an Versicherten wird gemeinsam alt und da keine neuen Kunden nachkommen explodieren im Alter die Beiträge. Die meisten versäumen die Chance bei Schließung eines Tarifs in einen jungen Tarif zu wechseln, weil die Versicherer nur sehr verklausuliert im Kleingedruckten auf diese Möglichkeit hinweisen, die eh keiner ließt oder versteht.

     

    In den USA ist es noch dramatischer. Da zahlen die privaten Krankenversicherungen lediglich Fallpauschalen. Es sind schon Patienten verstorben, weil sie an Wochenenden notoperiert werden sollten, die Ärzte aber niemanden von der Krankenversicherung erreicht haben um zu erfahren wie hoch die Fallpauschale ist und ob die Leistung überhaupt versichert ist. Ohne Freigabe durch die Krankenversicherung operiert in den USA kein Chirurg.

     

    Für ein gerechtes und akzeptables Gesundheitssystem sehe ich nur eine Chance:

    1. Es darf nur eine Bürgerversicherung für alle geben.

    2. Es muss unter Strafe verboten werden zusätzliche Leistungen zu versichern oder privat zahlen zu dürfen. Denn erst wenn alle Politiker und einflußreichen Beamten genauso wie die gesamte Bevölkerung krankenversichert sind und keine möglichkeit haben durch private Zahlungen eine Luxusbehandlung durch Ärzte zu erhalten werden sie ein Interesse daran haben, dass die gesetzliche Krankenversicherung angemessene Leistungen für einen fairen Beitrag bietet.