US-General McChrystal: Selbstdemontage eines Disziplinierten
Mit Ausfällen gegen Präsident Obama und dessen Berater riskiert der Isaf-Chef Stanley McChrystal seine Karriere - vielleicht um seine militärische Mission zu retten.
BERLIN taz | Was ist paradox? Ein hoher Militär, der öffentlich seinem Oberkommandanten, dem Präsidenten der USA, den Gehorsam aufkündigt, ihn öffentlich desavouiert. Ganz so, als ob es sich um eine gewöhnliche politische Meinungsverschiedenheit handele, quasi um einen Akt zivilen Ungehorsams.
Der Chef der alliierten Interventionsstreitkräfte in Afghanistan, Viersternegeneral Stanley McChrystal, hat sich dem US-Magazin Rolling Stone für ein langes Porträt zur Verfügung gestellt. In ihm übt er heftige Kritik an Politikern, Beratern und Diplomaten im Umkreis von Präsident Obama, wobei ungenannte Mitarbeiter des Generals mit seiner Zustimmung die gröbsten Injurien ihres Chefs zitieren. Auch von seinem Präsidenten selbst zeigt sich McChrystal enttäuscht.
Das Porträt erbost seit Tagen die politische Szene in Washington. Einmal geht es um den beispiellos vulgären Grundton der Angriffe - etwas, was man seit Richard Nixons Ausfällen in den "Pentagon Papers" nicht mehr vernommen hat.
Der Name des Vizepräsidenten Biden wird zu "bite me" ("Leck mich") verballhornt. Der Sicherheitsberater Jones ist nichts als ein "Clown" , der Sondergesandte Holbrooke wird als "angeschossenes Tier" bezeichnet, das nichts so fürchte wie seine Ablösung, dem USA-Botschafter in Afghanistan kommt es laut McChrystal nur darauf an, sich für den Fall einer Niederlage in Afghanistan nach dem Motto "Ich hab das gleich gesagt" aus der Affäre ziehen zu können.
Mit dieser Selbstdemontage eines asketisch, hoch diszipliniert und stets korrekt erscheinenden Militärs wird der politischen Kultur Washingtons im Ganzen ein Schlag versetzt.
Aber hinter diesen verbalen Entgleisungen verbirgt sich ein scharfer politischer Konflikt. Nicht umsonst hat sich McChrystal das Magazin Rolling Stone herausgefischt, dessen Leserschaft überwiegend der jungen Generation angehört. McChrystal geht es darum, möglichst effektiv eine politische Botschaft zu verbreiten. Sie lautet: Nur mit der Strategie der "Counter Insurgency" ("Coin") lässt sich der Krieg in Afghanistan gewinnen.
Coin setzt statt den Einsatz von militärischer Hochtechnologie den massiven Einsatz von Bodentruppen voraus, die die Bevölkerung effektiv vor den Taliban schützen und für die Sache "der Freiheit" gewinnen sollen.
Obama hat wesentliche Teile der Strategie McChrystals übernommen, sie allerdings mit einem schrittweisen Abzug der US-Truppen aus Afghanistan verknüpft. Er hat damit gegen die politische Linie seines Vizepräsidenten entschieden, der sich gegen die massive Erhöhung der Bodentruppen, gegen Coin und für gezielte Einsätze gegen Terroristengruppen ausgesprochen hat.
Schon letztes Jahr hatte McChrystal öffentlich gegen Biden Stellung bezogen und gewitzelt, ein solches Vorgehen würde Afghanistan zu einem "Chaotistan" machen. Dafür erhielt er einen Rüffel Obamas, der, wie sich jetzt zeigt, nichts genutzt hat. Der jetzige Vorstoß des Generals ist also nur seiner Form nach etwas bislang Unerhörtes.
Es ist leicht möglich, wenn auch gegenwärtig nicht beweisbar, dass hinter dem General Teile des führenden militärischen Establishments stehen, die die Linie der lange dauernden Counter-Insurgency auch gegen die politische Führung in der amerikanischen öffentlichen Meinung durchsetzen wollen.
Dann wäre McChrystal nicht der einsame Wolf, der seine militärische Karriere aufs Spiel setzt, um seinen militärisch-politischen Prinzipien treu zu bleiben - quasi eine tragische Figur -, sondern Teil eines Spiels, das die verfassungsmäßigen Rechte des amerikanischen Präsidenten gegenüber dem Militär aushöhlt.
In dieser Auseinandersetzung ist Obama dadurch gehemmt, dass er sich bislang der Strategie McChrystals ausgeliefert hat. So war es am Mittwoch bis Redaktionsschluss auch ungewiss, ob er seinen ungehorsamen General feuern oder ihn nur zurechtweisen wird. Der amerikanische Präsident kennt allerdings auch die Umfragen, deren Trend eindeutig auf die Beendigung des militärischen Engagements in Afghanistan weist. Woran auch das Porträt McChrystals im Rolling Stone nichts ändern kann.
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