US-Debatte über Afghanistan: Vorerst kein Truppenabzug
Die US-Truppen bleiben in Afghanistan. Das hat es die überwältigende Mehrheit des Repräsentantenhauses entschieden. Dennoch gab es viel Widerspruch.
WASHINGTON taz | Die Mehrheit der 356 Mitglieder des us-amerikanischen Repräsentantenhauses hat am Mittwoch entschieden, dass US-Truppen in Afghanistan bleiben sollen. Doch immerhin 65 Abgeordnete stimmten für einen sofortigen Truppenabzug - darunter 60 Mitglieder der Partei von Präsident Barack Obama.
Der demokratische Abgeordnete aus Ohio, Dennis J. Kucinich, hatte die Resolution im Repräsentantenhaus eingebracht. Unter Berufung auf ein Gesetz aus dem Vietnamkrieg verlangte er den Rückzug der Truppen binnen 30 Tagen. Oder – falls ein sofortiger Abzug zu hohe Sicherheitsrisiken berge – bis zum Ende dieses Jahres. Kucinich begründete seine Resolution mit dem "War Powers Act" aus dem Jahr 1973. Danach benötigt der Präsident die Zustimmung des Kongresses, wenn er Truppen für mehr als 90 Tage in einen Konflikt schickt. Laut Kucinich haben sowohl Ex-Präsident George W. Bush, als auch Obama den Kongress umgangen.
Die Debatte im Repräsentantenhaus war die erste parlamentarische Befassung mit dem Krieg in Afghanistan, seit Obama im vergangenen November eine Aufstockung von 70 auf 100.000 US-Soldaten in Afghanistan sowie einen Rückzug ab 2011 angekündigt hat. Seither sind liberale Demokraten, die nach Obamas Wahl auf schnelle Truppenabzüge aus Irak und Afghanistan gehofft hatten, verstört. Die Debatte am Mittwoch Nachmittag war eine Gelegenheit für sie, ihre Mißbilligung öffentlich zu zeigen, und ihre Kräfte zu messen. Zugleich unterbrach die Debatte für dreieinhalb Stunden den Konsens, den Washington ansonsten in der Kriegsfrage demonstriert.
"Ist der Krieg diesen Preis wert?" fragte die Demokratin Chellie Pingree aus Maine: "Können wir es uns leisten, unseren heimischen Problemen den Rücken zu zeigen und die gescheiterte Politik im Ausland fortzusetzen?" Der Demokrat Alan Grayson aus Florida nannte den Krieg eine "ausländische Besatzung".
Mehrere demokratische Redner wiesen das Argument zurück, wonach ein Truppenabzug eine "Entehrung" der gefallenen Soldaten bedeute. Patrick Kennedy sagte: "Ich glaube nicht, daß wir jene, die gestorben sind, mit einer schlechten Politik ehren können." Er nannte es "nutzlos" und eine "Schande" weiterhin US-Soldaten nach Afghanistan zu schicken. Und kritisierte im selben Aufwasch auch die US-Medien heftig, weil sie sich mehr für Sex-Skandale in Washington, als für das Soldatensterben in Afghanistan interessierten. Ron Paul, einer der fünf Republikaner, die den sofortigen Truppenabzug unterstützten, erklärte, daß es in Afghanistan darum gehe, ein Imperium zu bilden: "Ein Imperium, das die Nation sich nicht leisten kann".
Dennoch erhielt Obama die deutlichste Unterstützung in der Kriegsdebatte von der republikanischen Seite. "In Afghanistan hat Präsident Obama viel Verwantwortungsbewußtsein gezeigt und einen Sinn für die nationalen Sicherheitsinteressen der USA", lobte der Republikaner Lincoln Diaz-Balart: "er verdient unsere Unterstützung". Die Kritiker der Resolution begründeten: ein Rückzug zum jetzigen Zeitpunkt würde die kämpfenden Truppen schwächen, würde ein Scheitern in Afghanistan garantieren und würde, so der Repräsentant Ike Skelton aus Missouri, dafür sorgen, daß die USA "erneut mit einer Situation wie am 11. September konfrontiert werden". Der kalifornische Republikaner Duncan D. Hunter bezeichnete die Debatte – kurz nach dem Beginn der Offensive in der südafghanischen Provinz Helmand rund um Marja – als: "falsches Signal an die Truppen und ihre Familienangehörigen".
Die 60 Demokraten, die am Dienstag den Truppenabzug verlangt haben, zeigen, daß in der Kriegsfrage eine Spaltung durch ihre Partei geht. Hinzu kommt, daß weitere Demokraten, die zwar gegen die Resolution gestimmt haben, dennoch ihre Skepsis gegen den Krieg in Afghanistan zeigen, der in mehr als acht Jahren beinahe 1000 us-amerikanische Soldaten das Leben und die us-amerikanischen Steuerzahler mehr als 200 Milliarden Dollar gekostet hat. Einer aus ihren Reihen verwies auf die jahrhundertelange Tradtion von gescheiterten ausländischen Interventionen in Afghanistan. Demokrat Earl Blumenauer aus Oregon: "Die Geschichte lehrt uns, daß wir in Afghanistan nicht mit militärischer Stärke erfolgreich sein können."
Im Frühling, wenn es um die Bewilligung von weiteren 33 Milliarden Dollars für den Krieg gehen wird, könnte sich die Anti-Kriegs-Front verstärken. Der Demokrat Gary Ackerman schlägt vor, daß auch jene Kriegsgegner, die am Mittwoch keinen sofortigen Truppenabzug gefordert haben, im Frühling gegen die Finanzierung des Krieges votieren.
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