UNTERWEGS IN GUJARAT : Straßen der Hoffnung
LALON SANDER
Ich bin schon fast wieder in Ahmedabad, dem wirtschaftlichen Zentrum des Bundesstaates Gujarat, als ich es merke: Meine Tasche ist weg. Sie liegt nicht neben mir und auch nicht hinter dem Rücksitz des Mietwagens, in dem ich unterwegs bin. Kamera und Notizbücher – alles futsch. Der letzte Halt war vor 80 Kilometern in einem Restaurant, dort habe ich sie vergessen. 80 Kilometer sind weit auf Indiens Straßen.
Aber nicht in Gujarat. Die Straßen von Gujarat waren das meistdiskutierte Wahlkampfthema in diesem Jahr. Sind sie die besten in Indien? Hat der neue Premierminister Indiens und ehemalige Ministerpräsident Gujarats, Modi, für die guten Straßen gesorgt? Wird er das auch im Rest Indiens tun?
Besonders wegen der schlechten Infrastruktur ist es anstrengend, in Indien zu arbeiten. Die Fahrt zu einem Termin kann unberechenbar lang werden. Akkus sollten immer voll geladen sein, damit man bei Stromausfall weiterarbeiten kann. Für mich, der wenige Monate im Land arbeitet, sind das exotische Arbeitsbedingungen, zeitlich begrenzt. Für die Menschen in Indien ist es Alltag. Deshalb nehmen viele die Arbeit selbst in die Hand. Schlechte Straßen? Da helfen Privatautos, dann ist man nicht auch noch auf den unberechenbaren öffentlichen Nahverkehr angewiesen. Kein Strom? Generatoren springen in Häusern überall im Land an. All diese Maßnahmen können sich natürlich nur die Reichen leisten.
Versprechen, eine funktionierende Infrastruktur zu schaffen, zünden deshalb im Wahlkampf. Wenn das einer Regierung irgendwann gelingt, sagen viele, wäre das Leben schon viel leichter. Wenig wird darüber diskutiert, wie die neue Regierung das schaffen will.
An diesem Maiabend prüfe ich die Qualität der Straßen von Gujarat. Ich fahre 80 Kilometer zurück, finde die Tasche, trinke noch einen Tee und fahre die 80 Kilometer wieder in Richtung Ahmedabad. Anderthalb Stunden dauert es. Selbst in dem entwickelten Bundesstaat Tamil Nadu hätte die Fahrt mindestens doppelt so lange gebraucht. Vielleicht schafft es Modi ja, ganz Indien mit Gujarat-Straßen zu bepflastern. Die Frage wird nur sein: Zu welchem Preis?