UNTERWEGS AUF DER FASHION WEEK : Juvenile Exzentrik ist heute nicht mehr so gefragt
von Timo Feldhaus
Kurz vor der Modewoche telefoniere ich mit dem italienischen Diesel-Erfinder und Jeans-Milliardär Renzo Rosso. Er hat nicht so viel Zeit – Kanye West ist zu Besuch. Berlin, sagt er am Ende des Interviews, ist eine tolle Stadt. Das finden ja aktuell viele seiner Landsleute, meine ich, sie kaufen hier Wohnungen, weil sie ihr Geld sicher anlegen wollen. Oh ja, seine Kinder würden auch gerade suchen, sie liebten Berlin, sagt er.
Einen Tag zuvor wurde direkt bei mir gegenüber Käthe Kollwitz mit Spätzle geschändet. Free Schwabylon, die Gentrifizierung fordert Opfer – hübsch sieht das nicht aus.
Wie Fieber überkommt diese Debatte auch das Treiben der Berliner Fashion Week. Dort, auf der Bread and Butter, läuft im Grunde nur ein einziger Typ rum. Eigentlich ist es ja eine Streetwear-Messe, doch hier trägt niemand mehr bunte Sneaker und Kapuzenpullover. Heute sehen alle Männer genauso aus wie Joko und Klaas: Sie versuchen den Stil amerikanischer Elitecollege-Studenten mit britischem Reitstall zu verbinden. Oben rum minikleine taillierte Jäckchen, die Hose bollert in Raw-Denim, gern trägt man schweres Horn auf der Nase. Und wer ein richtig heißer Feger ist, heftet sich zum groben Hemd noch eine lustige Fliege an.
Auf der Bright, der noch jüngeren Messe, schauen sich Händler und Zielgruppe gemeinsam Skateboards an. Ein Aussteller erklärt: „Die Designer sind mit ihren Kunden gealtert, bunte Drucke und juvenile Exzentrik gefallen nicht mehr so.“ Und auf dem Weg zur Modenschau von G-Star, die in der Kirche des Galeristen Johann König stattfindet, wendet sich ein Kreuzberger Kid verwundert an seine Mutter: „Was tun dort draußen all diese schwarzen Autos mit den großen schwarzen Männern?“
Doch auch für die Mutter scheint das ein ungewöhnlicher Anblick zu sein. Sie hält die VIP-Shuttles, die die traurigen Straßenseiten der Alexandrinenstraße flankieren wie damals der bürgerliche Herrenanzug die französische Revolution, für Fahrzeuge von Politikern.
Sie schnauzt in Richtung Sohn: „Wenn die nicht so eine Scheiße bauen würden, dann bräuchten die auch keine Bodyguards.“
Wir steigen in eine der Luxuslimousinen und fahren zur After-Fashion-Party. Auf der Tanzfläche gibt mir ein Typ namens Claudio seine Karte, es steht „Verantwortlicher“ drauf. Er kommt aus Düsseldorf und sucht langfristig ein Zimmer in Berlin. Irgendein Zimmer, ein Kleiderschrank, sagt er.
Tags darauf in den Galeries Lafayette, wo ein Bildband der Moderedakteurin Diane Vreeland präsentiert wird, trinke ich Schaumwein und esse bunte Makronen. Eine mit Hut fragt sich: „Warum dürfen nicht alle Menschen dieses schöne Leben probieren?“ Sie antwortet sich selbst: „Man muss Moët & Chandon ausschenken in den Armenvierteln dieser Stadt, dann wird es bald was werden mit der Berliner Mode.“ Meine zwei Begleiter sinnieren über den Champagner in den Armenvierteln.
Der schönste Moment der Woche: die zartbittere Inszenierung von flüchtigen Spitzenkleidern mit viel Schatten bei Augustin Teboul und die knuddelweiche Rave-Mode des jungen Eidgenossen Julian Zigerli.
Am Freitagmorgen klingelt es an der Wohnungstür. Ein Fotograf von der Berliner Morgenpost möchte aus meinem Fenster ein Foto machen von dem letzten unsanierten Haus gegenüber. Die Stoßrichtung des geplanten Features wisse er noch nicht, aber: „Wir sind alle Teil der Gentrifizierung“, und dass er schon ewig um die Ecke lebe und persönlich keinen einzigen Schwaben kenne.
Wir verabschieden uns mit einem melancholischen Lächeln. Ich spiele das neue Berlin-Lied vom alten David Bowie ab. Ich singe leise mit: „Where are we now / you know, you know.“