UNTER DEN LINDEN : Was Aufregendes
Neulich, Unter den Linden. Nachmittags irgendwann. Ich bin eh schon zu spät. Weil ich so ein asoziales Leben führe, hatte ich wieder völlig vergessen, dass Wochenende war und mich nur über die ganzen orientierungslosen Menschen geärgert, die mir ständig vors Fahrrad liefen.
Im Ernst! Ich stehe an einer der fünfzig Baustellen und warte, ob vielleicht ein Raumschiff landet, das mich kurz auf die andere Straßenseite beamt. Ganz harmlos stehe ich da. Museumsinsel, Lustgarten, gegenüber vom Schlossplatz, an der Fußgängerampel. Und die Menschen laufen, als wäre ich durchsichtig.
„Vorsicht!“, sage ich zu einem etwas erschöpft aussehenden Pärchen, kurz bevor einer von beiden über mein Vorderrad stolpert. Der Junge schaut von seinem Smartphone auf. Ich sehe, dass er etwas sagt, aber ich kann ihn nicht hören. „Wat?“, sage ich und nehme den Knopf aus dem Ohr. Wer’s eilig hat, sollte nicht freundlich sein. Schon gar nicht in Mitte. Sonst kommt man überhaupt nicht vom Fleck. Als Kinder haben wir manchmal ganze Nachmittage damit verbracht, auf der Oranienburger Straße zu sitzen und Touristen in die falsche Richtung zu schicken. Meistens nicht mal mit Absicht.
„Kennen Sie sich hier aus?“, fragt der junge Mann. Ich schätze ihn auf Anfang zwanzig. Bestimmt ist er mit seiner Freundin verlobt. Sie sehen aus, als ob sie eigentlich lieber nach München gefahren wären, Oktoberfest oder so. Vielleicht kommen sie aber auch von da und wollen jetzt mal ganz was anderes kennen lernen. Was Aufregendes, Abgefahrenes, was total Irres. In Berlin. Unter den Linden.
„Kennen Sie sich aus?“, fragt der Junge, und ich sage: „Ja. Schnell!“ Irgendwie fühle ich mich ja auch immer ein bisschen verantwortlich, das Image dieser Stadt zu pflegen. „Ähm“, sagt der Junge eingeschüchtert, „die Straße Unter den Linden, können Sie uns sagen, wo die ist?“ LEA STREISAND