piwik no script img

UNHEIMARBEIT

■ Frauen schneiden Männer ab

Anfang der achtziger Jahre war der Boden bereitet: Die Kerle waren männergruppenmäßig weichgekocht mit der Folge, daß nicht nur ihre zartblonden Fitzelmähnen vom sich andeutenden Glatzenrand aus auf die immer schmaler gewordenen Schultern fielen, sondern auch das entwickelte Vertrauensseligkeitsprogramm in der Praxis des täglichen Geschlechterkampfes Anwendung finden sollte, ja eine dieser Berliner Männergemeinschaften ging dann sogar so weit, sich ein leibhaftiges Weib in die Wohnung zu holen. Dies die Voraussetzungen zu folgender Täterinnenchronik.

Zunächst hatte ja alles nur heimlich stattgefunden: Ihr neuer Liebhaber war nämlich Bartträger gewesen und hatte schon freiwillig eingesehen, „daß irgend etwas in meinem Leben anders werden muß“. Da wollte die Helferin ihm helfen, altruistisch, uneigennützig. Und bat den Herrn ins Bad, wo er es sich auf der Klobrille bequem machen durfte. Möglichst entspannt, versteht sich. Nach und nach versank der Mann unter weißem Schaum, da war er schon gleich viel schöner. Und nach und nach verschwand der Schaum und allmählich kam ein Gesicht hervor. Das ging noch alles wie von selbst, daß dies das Rasiermesser in ihrer Hand war, war der Frau kaum bewußt. Wohl aber dem ausgelieferten Kerl, denn der mußte sie dann gleich sehr packen, revanchehalber. Dennoch tat sie es dann immer wieder. Wenn‘ s mal blutete, leckte sie. So traut.

Als sie bei den drei blonden Jungs einzog, mußte aber wieder etwas passieren, sich fortentwickeln. Da griff sie in diesem maroden Haushalt nicht nur zum Besen und zum Putzlappen, binnen einer Woche nahm sie schließlich auch die Schere in die Hand. Ordnung auf den Köpfen der Männer, Frauenfaconschnitt in Feindeswohnung, einen nach dem anderen machte sie vom Wollschaf zum Stoppeligel, gerade indem sie ihm die letzten männlichen Langstachel auf Kraullänge stutzte. Ihre Mitbewohner, ihr Werk; die Jungs duldeten es verschüchtert, das war so die Zeit, man hatte ja auch die Kuschelecke im Berliner Zimmer, sie benutzten ihre Cremes und Schaumbäder, wuschen weiterhin nicht ab, trauten sich aber trotzdem kaum ein aktives Aufmucken gegen die unheimliche häusliche Frauenmacht.

Dann schnitt sie sich noch einen Neuen zurecht. Der hatte Millionen dunkler Drahthaare und sie war wild entschlossen, den zu ihrem Langliebsten zu machen, was ihr ja dann auch gelungen ist. Ziemlich blöde stellte der sich an, als sie ihm ans Nackenhaar wollte und faselte viel von irgendwelchen Entenschwänzen, die sie ihm doch bitte stehen lassen möge. Ha, ha, ha. Dabei ist die Sache doch gar nicht so trivial, wie die Herren kastrationsfixierten Küchenpsychoanalytiker sie schildern, jedenfalls nicht, wenn's um den Zuschnitt des konkreten Liebesobjekts geht, was eher einem Explorationsverfahren gleicht. Wie sie dem einen den Gesichtspelz nahm und so den Mann zum Menschen, zum Enthüllten, zum Ungeschützten machte, so entbarg sie des anderen Nacken und legte jene Zone frei, wo die allerfeinste (nicht „zartes“, denn „zart“ ist ein Stück Schweinefilet in Champignonrahmsauce) Haut langsam unter die Haare schlüpft, jene schönste Stelle des Männerkörpers, wo das stoffliche Feine direkt aufs atavistische Grobe trifft, jener vieldeutige Übergang, der nichts, aber auch gar nichts mehr mit grobem geschlechtlichem Fleisch, dumpfem tierischem Hunger und entsprechend plumper Entmannungsangst zu tun hat.

Aber alles, was über die willentliche Überwindung der allgemeinsten Geschlechterschranken mittels bewußter Einsichtnahme in die Lächerlichkeit der klassischen Klaviatur der Küchenpsychoanalyse hinausging, war im Vertrauensseligkeitsprogramm der frühen achtziger Jahre noch nicht inklusive. Fünf Jahre hatte es gedauert, bis sie ihm schließlich doch an den Kragen durfte.

Gabriele Riedle

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen