UNGLÜCK IN DER U-BAHN : Es geht schlecht
Der Bekannte, dem ich beim allgemeinen Aufbruch in dem Café die Hand gebe, sieht schlecht aus. Seine Freundin hätte sich, so wurde geflüstert, ein viertes Mal von ihm getrennt. Wir laufen alle zusammen, der Bekannte wird in die Mitte genommen, bis zur Weltuhr und verabschieden uns ein weiteres Mal.
Im U-Bahnhof Alexanderplatz stehen drei Typen im Abstand von je zwei Metern in einer Reihe. Alle haben Stöpsel in den Ohren. Weiße Kabel führen in ihre Hosentaschen. Eine Frau sitzt auf der Wartebank, liest Zeitung und hibbelt mit den Beinen. Eine, zwischen großem Mädchen und erwachsen, mit ohrumschließenden Kopfhörern steht an einem der Tische des Bahnsteigbistros, lässt ihr Telefon zwischen Daumen und Zeigefinger Kreise drehen und starrt ins Leere. Sie trägt eine löchrige Jeans, Chucks und eine rote Lederjacke, wie sie Michael Jackson in einem seiner Musikvideos trug. Unter ihrem linken Auge eine 50-Cent-große Rötung, die fast aussieht, als hätte jemand zugeschlagen.
Die Anzeige beginnt zu blinken, die Bahn fährt ein. Sie kommt auf mich zu und sagt: „Ich finde das scheiße hier.“ Ich sage „Ja.“ – „Kannst du mir eine Kippe geben?“ Sie erzählt von ihrem Hund, der ihren anderen Hund angefallen habe. Der verletzte Hund sei nun beim Tierarzt und der, der angegriffen hat, bei Freunden untergebracht. Sie könne jetzt nicht da sein für sie. Sie weint. Ich greife unbeholfen an ihre Schulter und sage, sie solle jetzt schlafen gehen und sich morgen darum kümmern. Wir rauchen eine Zigarette zusammen, sie hustet ein paar Mal. In der U-Bahn sitze ich einer Frau gegenüber, die bis zum Hermannplatz einen Strauß weißer Blumen in der linken Hand hält, ein fester Griff, als könnte sie sich notfalls damit verteidigen. Leise summt sie das Adagio von Max Bruchs erstem Violinkonzert und streichelt, zu dem Strauß gebeugt, ihre Stirn mit den Blüten. BJÖRN KUHLIGK