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UNCTAD: Ein Drittel streichen

■ UN-Organisation belegt durch Szenarien, daß sich die Dritte Welt ohne Streichung von Schulden nicht erholen kann

Teil 25: Andreas Zumach

Den „endgültigen Erlaß von mindestens 30 Prozent aller Schulden gegenüber privaten Banken für die 15 am schwersten verschuldeten Staaten“ schlägt die Konferenz für Handel und Entwicklung der Vereinten Nationen (UNCTAD) vor. „Das ist der einzig realistische Weg, auf dem diese Länder eine Chance haben, aus ihrer Verschuldung herauszuwachsen“, heißt es im gestern in Genf veröffentlichten UNCTAD-Jahresbericht 1988, dessen umfangreichstes Kapitel dem Thema „Verschuldung und Entwicklung“ gewidmet ist. Die 15 am schwersten verschuldeten Staaten sind nach UNCTAD-Kriterien Argentinien, Bolivien, Brasilien, Chile, Kolumbien, Elfenbeinküste, Ecuador, Mexiko, Marokko, Nigeria, Peru, Philippinen, Uruguay, Venezuela und Jugoslawien.

„Alle internationalen Strategien zur Lösung der Schuldenkrise haben bisher nicht funktioniert“, erklärte der US-Amerikaner Robert Lawrence, Direktor der UNCTAD-Abteilung für Geld und Finanzierungsfragen bei der Vorstellung des Reports. „Die Schuldenlast ist trotz zahlreicher Umschuldungsprogramme und neuer Kredite immer höher geworden.“ Bei Beibehaltung der beiden bisher gängigen Strategien von Geberländern und internationalen Institutionen wie Weltbank und Währungsfonds werde sich „an dieser Lage auch nichts ändern“. Sowohl Strategie 1 - das Vertrauen auf wirtschaftliches Wachstum der verschuldeten Staaten bei gleichbleibenden äußeren Rahmenbedingungen - wie Strategie 2 - verstärkte Kredite unter der Bedingung innenpolitischer „Reformen“ - führten auch weiterhin zu keinem oder nur einem minimalen Abbau des Schuldenberges.

Die UNCTAD belegt dies in ihrem Bericht mit ausführlichen Szenarien.

Drei Szenarien

Darin hat sie auf der Basis von Durchschnittszahlen aus den 15 meistverschuldeten Ländern die Entwicklung der Ex- und Importe, der jährlichen Wachstumsrate, der Investitionen, des Pro-Kopf-Einkommens sowie des Anteils der Schuldenrate am Bruttosozialprodukt unter den Bedingungen dieser beiden Strategien sowie eines 30prozentigen Schuldenerlasses berechnet. Unter Strategie 2 mit neuen Krediten sind die jährlichen Wachstumsraten beim Pro-Kopf-Einkommen (3,1 Prozent), Exporten (3,2), Importen (3,1) und Investitionen (3,0) zwar viel höher als bei Strategie 1 (0,6/ 0,8/0, 5/0, 4), die auf Wachstum aus eigener Anstrengung setzt. Allerdings: Die jährliche Wachstumsrate der Schulden ist unter Strategie 2 wegen der mit neuen Krediten verbundenen zusätzlichen Zinsbelastungen mit 5,4 Prozent mehr als doppelt so hoch wie bei Strategie 1 (2,5). Doch entscheidend ist: Bei Strategie 2 steigt der Anteil der Schuldenlast am Bruttosozialprodukt nach fünf Jahren von 48,7 auf 49 Prozent, bei Strategie 1 sinkt er nur geringfügig von 49,5 auf 48,7 Prozent. Dasselbe gilt für das Verhältnis von Schuldenlast zu den Exporterlösen der Länder.

Erst unter der Grundannahme eines 30prozentigen Schuldenerlasses ergibt sich nach fünf Jahren eine relevante Reduzierung des Schuldenberges: Der Anteil der Schulden am Bruttosozialprodukt sinkt von 37,1 auf 31,4 Prozent. Noch gravierender verringert sich der Anteil der Schuldenlast an den Exporterlösen.

Die vier Wachstumsindikatoren liegen unter der Voraussetzung des 30prozentigen Schuldenerlasses ähnlich wie bei Anwendung von Strategie 2. Unterhalb der 30-Prozent -Grenze trete dieser Effekt nicht ein, erklärte Lawrence gegenüber der taz. Einen höheren, gar bis zu 100prozentigen Schuldenerlaß - von vielen Fachleuten als die einzig mögliche Lösung befürwortet - habe die UNCTAD „aus politischen Gründen“ nicht vorgeschlagen. „In den Geberländern soll nicht der Eindruck entstehen, hier solle das ganze Haus aufgegeben werden.“ Es könne außerdem nicht darum gehen, „die Schuldnerländer völlig von der Angel zu lassen“.

Schuldenerlaß verkraftbar

Für die Banken'insbesondere die der USA, sei ein Schuldenerlaß möglich und schaffe „keine künftigen Probleme“, heißt es in dem Report. Die Verluste der US -Banken lägen sogar unterhalb der Zinsen, die sie durchschnittlich für ihre Kredite an „Drittweltländer“ einstreichen. Allerdings müsse den Geldinstituten zugestanden werden, ihre Verluste über mehrere Jahre zu verteilen. UNCTAD-Direktor Lawrence beruft sich denn auch auf „wachsende Unterstützung von US-Bankern, Politikern und Ökonomen für Alternativen zu den bisherigen Strategien“.

Der UNCTAD-Report nennt den Investment Banker Felix Rohatyn, der als Architekt für den finanziellen Gesundungsprozeß der hoch verschuldeten Stadt New York gilt. Sein Vorschlag aus dem Jahr 1983 für den Teilerlaß von Schulden unter Vermittlung einer Internationalen Schuldenagentur werde in dieser oder ähnlicher Form inzwischen unter anderem von US-Senator Paul Sarbanes sowie den Abgeordneten Bruce Morrison und Sander Levin unterstützt. Weiterhin vom Vorsitzenden der American Express Corporation, James Robinson III., oder - in seiner Eigenschaft als Privatperson - vom Exekutivdirektor des Internationalen Währungsfonds, Arjun Sengupta. Die Chancen einer baldigen Umsetzung des UNCTAD-Vorschlages beurteilt Lawrence dennoch eher zurückhaltend. Merkwürdige Zurückhaltung übt die UNCTAD aber auch selbst. Ihr Vorschlag liegt zwar jetzt auf dem Tisch, aber offiziell einbringen auf die Tagung von Weltbank und Internationalem Währungsfonds Ende September in Berlin/West will die UNCTAD ihn nicht.

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