■ UN-Vermittler Stoltenberg versucht sich als Historiker: Rücktritt wäre das mindeste
Jetzt hagelt es Dementis. Gesagt und auch gemeint hat er den Satz trotzdem: „Kroaten und Muslime sind eigentlich Serben.“ Thorwald Stoltenberg, Chefunterhändler der UNO im ehemaligen Jugoslawien, hat sich als Historiker versucht. Das hätte er lieber bleibenlassen sollen, denn er ist dabei gründlich reingefallen.
Thorwald Stoltenberg hat sich nämlich umstandslos die Ansichten und Geschichtsinterpretationen einiger serbischer nationalistischer Extremisten zu eigen gemacht. Zugute halten könnte man lediglich, daß es ihm gelungen ist, bei den Einladungen seiner serbischen Verhandlungspartner – wo traditionsgemäß viel Schnaps gereicht wird – immerhin nüchtern zu bleiben. Sonst hätte er sich all das wohl nicht merken können. Seit spätestens 1836, nachdem der bekannte serbische Linguist Vuk Stefanović Karadžić und andere Intellektuelle diese Position vertreten hatten, wird sie nämlich bis heute immer wieder zur Begründung des serbischen Hegemonieanspruchs über die Südslawen der Region herangezogen.
Seine Worte seien aus dem Zusammenhang gerissen worden, erklärte Stoltenberg inzwischen. Bestimmt jedoch nicht aus diesem: Obwohl die Gründung einer südslawischen, also jugoslawischen Föderation die Idee kroatischer Intellektueller war, ist das erste Jugoslawien nach 1918 von Serbien dominiert worden. In dem zentralistisch ausgerichteten Staat wurden Kroaten und Slowenen zwar nominell anerkannt, faktisch aber unterdrückt – wie die anderen slawischen Nationen, wie die Makedonier oder die Muslime, von den Nichtslawen ganz zu schweigen. Selbst in dem scheinbar auf „Brüderlichkeit“ gegründeten kommunistischen Tito-Staat hat die serbisch-zentralistische Konzeption obsiegt. Und bis heute leben viele Serben in dem Bewußtsein, Jugoslawien wäre „ihr“ Staat gewesen, die Serben hätten alles Recht der Welt, die „Sezessionisten“ und „Verräter am Serbentum“ zu bestrafen. Kroatien, Makedonien und Bosnien sind in ihren Augen eben letztendlich keine eigenständigen Nationen.
Hätte Stoltenberg diesen Zusammenhang hergestellt, wäre ihm auch bewußt geworden, daß ethnische Säuberungen und die damit verbundenen Verbrechen keineswegs Zufall sind. Sie sind die Konsequenz eines imperialistischen Konzepts. UNO-Chefunterhändler Thorwald Stoltenberg hat sich also keineswegs als „unparteilich“ erwiesen. Ein freiwilliger Rücktritt wäre noch die ehrenvollste Konsequenz. Erich Rathfelder
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