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UN-Terrorlisten"Auch EU-Juristen haben da große Probleme"

Scott Crosby, Herausgeber des "Journal of European Criminal Law", kritisiert, dass die einzelnen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union bei den sogenannten UN-Terrorlisten keinerlei Ermessensspielraum haben.

taz: Herr Crosby, in seinem jüngsten Bericht erhebt der Europarat schwere Vorwürfe: Die Terrorlisten der EU verletzten nicht nur die Europäische Menschenrechtscharta sondern auch eine ganze Reihe anderer internationaler Konventionen, darunter die UN-Charta. Hat denn niemand bislang dagegen geklagt?

Scott Crosby: Wir reden hier ja von zwei Listen. Alle EU-Staaten sind Mitglied bei den Vereinten Nationen. Bei der Liste des UN-Sicherheitsrats haben weder der Ministerrat noch die einzelnen Länder einen Ermessensspielraum. Deshalb hat sich, wenn es um die UN-Liste geht, das Europäische Gericht jedes Mal für nicht zuständig erklärt. Bei der europäischen Liste gibt es inzwischen einige Urteile, die das Recht des Terrorverdächtigen auf Verteidigung und Berufung stärken.

An welches Urteil denken Sie?

Diesen Juli hat das Gericht in erster Instanz zugunsten des philippinischen Staatsbürgers José Maria Sison entschieden, der von den Niederlanden auf die EU-Terrorliste gesetzt worden war. Sison war von 1968 bis 1977 Vorsitzender des Zentralkomitees der philippinischen Kommunistischen Partei, deren militärischer Arm NPA von den Niederlanden als Terrororganisation angesehen wird. Sison beantragte Flüchtlingsstatus in den Niederlanden. Seine Konten wurden 2002 eingefroren. Das Gericht stellte fest, dass ihm bei dieser Prozedur die grundlegenden rechtstaatlichen Möglichkeiten verweigert worden waren. Das ist ein Lichtblick.

Kurz danach tauchte Sison auf der aktualisierten Liste des Ministerrats wieder auf

Der Rat hat in sämtlichen Entscheidungen stets den Schutz der Allgemeinheit deutlich höher bewertet als die rechtsstaatlichen Ansprüche des Einzelnen. Es sagt doch schon alles, dass sich die Mitgliedsstaaten nicht einmal auf gemeinsame Mindeststandards für Strafprozesse einigen können.

Wäre es nicht Zeit, die Listen einmal grundsätzlich auf dem Klageweg in Frage zu stellen?

Rechtstechnisch ist das sehr schwierig. Vor den europäischen Instanzen haben nur die ein Klagerecht, die individuell und direkt betroffen sind. Sonst ist die Klage unzulässig. Nur die Mitgliedsstaaten können eine Norm allgemein überprüfen lassen. Da sie aber einstimmig die Listen beschlossen haben, wäre es paradox, wenn ein Land hinterher gegen seine eigene Entscheidung klagen würde.

Der Europarat kommt zu dem Schluss, dass die Listen Grundsätze des Rechtsstaates verletzen, wie Bewegungsfreiheit, Verfügbarkeit über Eigentum, Unschuldsvermutung, Berufungsmöglichkeit, einen fairen Prozess.

Die Politiker müssen zwischen der Sicherheit der Allgemeinheit und dem Recht des Einzelnen abwägen. Das europäische Gericht hat im Sison-Urteil klargemacht, dass ein Terrorverdächtiger weniger Rechte hat als ein Angeklagter in einem Gerichtsverfahren. Zum Beispiel kann das Recht, vorab über die Vorwürfe informiert zu werden, nicht geltend gemacht werden. Es geht ja um vertrauliche Informationen, die geheim bleiben müssen, um das Interesse der Allgemeinheit zu schützen. Im Nachgang muss die Person laut Sison-Urteil aber sehr wohl informiert werden, damit sie Berufung einlegen kann.

Haben die Gerichte den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geprüft?

Meines Erachtens nicht. Beamte der EU-Kommission haben mehrfach angeregt, dass meine Zeitung das Thema aufgreifen sollte. Das zeigt mir, dass es auch innerhalb der Institutionen Juristen gibt, die damit große Probleme haben.

Wir zerstören das, was wir eigentlich schützen wollen

Genau. Um das deutlich zu machen, verwende ich oft ein einfaches Beispiel. Da ist dieser leichtsinnige Engländer mit viel zu viel Geld. Er verknallt sich in ein Mädchen in Laredo, Texas. Dieses Mädchen hat einen Verwandten, der in Mexiko zu einer Guerillagruppe gehört. Der Engländer fliegt alle zwei Wochen zu dem Mädchen. Seine Passagierdaten werden mit Erkenntnissen amerikanischer Geheimdienste abgeglichen. Sein Name könnte ganz schnell auf die Terrorliste kommen, ohne dass er auch nur erfahren würde, was ihm vorgeworfen wird.

INTERVIEW: DANIELA WEINGÄRTNER

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