UN-Sondertribunal zum Mord an Hariri: Ein folgenloses Urteil
15 Jahre nach dem Mord an Libanons Ex-Premier Hariri: Ein UN-Sondertribunal spricht nur einen der vier angeklagten Männer schuldig.
Die Rede ist nicht von der jüngsten Explosion auf Beiruts Hafengelände, sondern von dem folgenreichsten Bombenanschlag in der Geschichte des Staates Libanon: dem Selbstmordattentat vom 14. Februar 2005. Mehr als 200 Menschen wurden damals verletzt, 22 getötet – unter ihnen der Milliardär und ehemalige Ministerpräsident Rafik Hariri.
Mehr als 15 Jahre später hat das UN-Sondertribunal für den Libanon (STL) am Dienstag das lang erwartete Urteil gefällt. Für eine direkte Täterschaft der Schiitenmiliz Hisbollah oder des Nachbarlandes Syrien sahen die RichterInnen keinen Beleg. Ein Hisbollah-Mitglied sprachen sie schuldig: Der Libanese Salim Ajjasch sei „Mittäter“ des Anschlages.
Die Beteiligung von drei weiteren Männern, die in dem Prozess der Komplizenschaft angeklagt waren, könne allerdings „nicht zweifelsfrei bewiesen“ werden, hieß es in der über Stunden dauernden Verlesung des Urteils. Das Strafmaß für Ajjasch wurde am Dienstag noch nicht bekanntgegeben.
Der Hariri-Prozess im niederländischen Leidschendam war eine Sensation – nicht nur für den Libanon, auch für die internationale Staatengemeinschaft. Nie zuvor war ein spezielles UN-Strafgericht eingerichtet worden, um einen politischen Mord aufzuklären. Viele LibanesInnen und politische BeobachterInnen verbanden große Hoffnungen mit dem STL.
Hariri verkörperte den Wiederaufbau wie kein anderer
„Es stellt einen Präzedenzfall der Rechenschaftspflicht innerhalb einer politischen Kultur dar, in der ‚Amnestie‘ und eine stammesähnliche Versöhnung vorherrschend sind“, sagt der libanesische Analyst Lokman Slim gegenüber der taz. Auch wenn das Strafgericht nicht die politische Verantwortung von mutmaßlichen Strippenziehern wie der Hisbollah, dem Iran oder des syrischen Regimes zurückverfolgen konnte, habe das STL dazu beigetragen, gängige Praktiken der Straflosigkeit zu durchbrechen.
Das Verfahren war besonders in den Anfangsjahren politisch hochsensibel. Rafik Hariri, Vater des 2019 als Ministerpräsident zurückgetretenen Saad Hariri, war zum Zeitpunkt seiner Ermordung Libanons prominentester sunnitischer Politiker.
Nach dem Bürgerkrieg hatte der Geschäftsmann in den neunziger Jahren Beirut wieder aufgebaut. Zwar bereicherte er sich dabei maßlos selbst, doch wie kein anderer verkörperte Hariri den Wiederaufbau des zerstörten Landes. Mit guten Kontakten in die USA sowie in die Golfmonarchien stand Hariri für einen prowestlichen Kurs. Von seinen Widersachern wurde er als Gefahr für den Einfluss des Irans und Syriens in dem kleinen Mittelmeerland gesehen.
Schnell fiel nach dem Attentat der Verdacht auf die Hisbollah, den Handlanger Teherans im Libanon, sowie auf ihre Verbündeten in Damaskus, das syrische Assad-Regime, das damals noch seine Truppen im Libanon stationiert hatte. Es folgten Massenproteste gegen Syriens Einflussnahme. Die sogenannte Zedernrevolution, in deren Folge sich die syrische Armee aus dem Libanon zurückzog, nahm ihren Lauf.
Vor diesem Hintergrund riefen die UN gemeinsam mit dem Libanon eine Untersuchungskommission und später das STL ins Leben, um den Mord an Hariri aufzuklären. Die Ermittlungen, die zeitweise von dem Deutschen Detlev Mehlis geführt wurden, waren von Pannen geplagt. Mindestens ein mit den Ermittlungen befasster Mitarbeiter der libanesischen Sicherheitsbehörden wurde ermordet. Der Prozess begann schließlich erst im Jahr 2014.
Nadim Houry von der Denkfabrik Arab Reform Initiative zog am Dienstag ein ernüchterndes Fazit: „Das STL ist an dem gescheitert, was sein Hauptziel hätte sein müssen: einen Schock für das System der Straflosigkeit zu schaffen, das den Libanon regiert hat“, schrieb er.
Einer der schärfsten Kritiker des STL, der Analyst Michael Young vom Carnegie Middle East Center, kritisiert sogar, dass das Tribunal der internationalen Strafgerichtsbarkeit einen Bärendienst erwiesen habe, werde es als Negativbeispiel für künftige Tribunale doch abschreckende Wirkung entfalten.
Alle vier Männer sind auf der Flucht
Dem Mehlis-Nachfolger Serge Brammertz, heute Chefankläger der Nachfolgestrukturen der UN-Tribunale für Jugoslawien und Ruanda, wirft Young vor, politischem Druck nachgegeben, das Verfahren in die Länge gezogen zu haben und an einer tatsächlichen Aufarbeitung nicht wirklich interessiert gewesen zu sein.
Die Untersuchung und der Prozess kosteten rund eine Milliarde US-Dollar, von denen der Libanon knapp die Hälfte bezahlte, während andere Länder, darunter Deutschland, den Rest übernahmen.
„Fast eine Milliarde Dollar wurde in eine 15-jährige Untersuchung und Gerichtsverhandlung gesteckt, die nur niedrigrangigen Funktionären nachging“, kritisiert auch Habib Nassar von der Nichtregierungsorganisation Impunity Watch.
„Dabei hatte das Gericht die volle Zuständigkeit und Kapazität, die Befehlskette zu untersuchen und denjenigen nachzugehen, die das Attentat angeordnet und angestiftet hatten.“ Es sei, sagt Nassar, als seien die Nürnberger Prozesse nach dem Zweiten Weltkrieg mit einem Schuldspruch des Chefs der Berliner Polizeistation zu Ende gegangen.
Lokman Slim kann dem aufwendigen Prozess dennoch Positives abgewinnen. Dass sich das STL nicht an die Strippenzieher herangewagt habe, sei zwar enttäuschend, sei aber Teil der Spielregeln gewesen. Doch habe der Hariri-Prozess im Libanon wichtige Debatten angestoßen.
„Es ist kein Zufall, dass viele Libanesen heute eine internationale Untersuchung in Bezug auf die Mega-Explosion des Hafens von Beirut fordern“, sagt er. „Wäre eine solche Forderung ohne den Präzedenzfall, den die internationale Beteiligung im Hariri-Mordfall geschaffen hat, denkbar?“
Direkte Folgen für den Verurteilten wird das Urteil vom Dienstag nicht haben. Wie die anderen drei Angeklagten ist der per internationalem Haftbefehl gesuchte Ajjasch flüchtig. Wo sich die vier Männer aufhalten und ob sie überhaupt noch am Leben sind, ist nicht bekannt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Pistorius wird nicht SPD-Kanzlerkandidat
Boris Pistorius wählt Olaf Scholz
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen