UN-Experten zur Ölkatastrophe: Es wird teuer werden
Es wird Jahre dauern und Milliarden kosten, die Folgen des Öllecks im Golf von Mexiko zu beheben. Die Investitionen rechneten sich aber dennoch.
Sieben Wochen nach der Explosion der Bohrinsel "Deepwater Horizon" vor der Küste des US-Bundesstaats Louisiana hat der Ölkonzern BP erstmals Erfolge bei der Bekämpfung der größten Ölpest in der Geschichte der Vereinigten Staaten gemeldet. Ein über dem Leck platzierter Trichter saugt angeblich gut 10.000 Barrel täglich an die Oberfläche.
"Wir gehen davon aus, dass das mehr als die Hälfte, wahrscheinlich der größte Teil des Öls ist", so BP-Vorstandschef Tony Hayward. Bis zum kommenden Wochenende will BP einen weiteren Trichter anbringen, um noch mehr Öl einzufangen. Unterdessen breitet sich der riesige Ölteppich aus: sensible Feuchtgebiete werden vom Öl verseucht, nach Louisiana, Alabama wurden auch im Urlaubsstaat Florida Ölklumpen an die weißen Strände gespült.
US-Präsident Barack Obama sicherte den Bewohnern der Golfregion erneut seine Unterstützung zu. In seiner wöchentlichen Radioansprache sagte er: "Ich werde an der Seite der Leute am Golf bleiben, bis alles wieder in Ordnung ist." Doch das kann dauern: jedenfalls dann, wenn Tim Kasten, Artenschutzexperte beim UN-Umweltprogramm Unep, Recht behält.
Der US-Amerikaner hat in der Abteilung der US-Umweltbehörde EPA gearbeitet, als vor mehr als zwanzig Jahren der Öltanker "Exxon Valdez" in arktischen Gewässern vor Alaska auf ein Riff lief und die bis dahin schlimmste Ölpest auslöste.
"Deshalb weiß ich, wie lange es dauert, bis man die wirklichen Auswirkungen und die wirklichen Kosten kennt", warnt Kasten. Es gehe nicht nur um Kosten und Aufwand, die durch das Aufsaugen des Ölteppichs entstehen, sondern um die Renaturierung des ganzen Ökosystems - "das dauert Jahre". Kasten meint: "Wir sehen gerade erst die ersten Auswirkungen auf die Tierwelt, und dazu kommen die Auswirkungen auf die Fischerei oder den Küstentourismus in der Hochsaison, die gerade begonnen hat - alleine das wird Milliarden ausmachen." Sollte der Ölteppich sich, wie befürchtet, weiter ausbreiten und auch andere Länder treffen, würden die Kosten der Beseitigung der Folgen weiter steigen. Doch egal wie viel die Beseitigung der Schäden kostet: lohnen, sagt Kasten, wird sich der Aufwand auf jeden Fall - ökologisch und ökonomisch.
Der Umweltexperte hat gerade erst eine Studie vorgestellt, die Kosten und Nutzen der Wiederherstellung zerstörter Ökosysteme gegenüberstellt. Das Ergebnis: Das Investment in die Natur lohnt sich praktisch immer. So wurden in Südafrika mehr als dreieinhalb Millionen Euro in die Wiederaufforstung der Drachenberge gesteckt, dazu kommen jährlich 800.000 Euro an laufenden Kosten. Die anliegenden Gemeinden können ihr Trinkwasser jetzt wieder aus dem Fluss entnehmen. Wegen des steigenden Wasservolumens muss keine Fahrrinne mehr ausgebaggert werden. Und für die Wälder werden Gelder aus dem Kohlenstoffhandel erlöst. So dauerte es kaum ein halbes Jahr, bis die Kosten wieder eingefahren waren.
Hätte man die gleichen Probleme technisch gelöst, so bilanziert der Unep-Bericht "Dead Planet, Living Planet", wären die Kosten deutlich höher gewesen. Außerdem, betont Kasten, wurden Arbeitsplätze geschaffen: 310 permanente Stellen und während der Renaturierungsphase Arbeit für mehr als tausend Tagelöhner über sieben volle Jahre.
Ob eine Renaturierung auch im Golf von Mexiko so möglich sein kann, wagt Kasten noch nicht zu beurteilen - zumal auch der bisher einmalig große Einsatz von Chemikalien berücksichtigt werden müsse. Diese verursachten ebenfalls Umweltschäden, auch wenn immer wieder gesagt werde, dass diese geringer als die des Öls seien.
Kasten geht davon aus, dass die Renaturierung in dem Moment beginnen wird, wo das Ölleck endlich abgedichtet ist. Er fordert BP auf, von Anfang an alle Betroffenen zu beteiligen, um Fehler bei der Beseitigung der Schäden zu vermeiden. "Unsere Erfahrung zeigt: Bislang hat der Ertrag am Ende immer den Aufwand der Renaturierung gerechtfertigt."
Fest steht: Je länger das Öl noch austritt, desto länger wird die Rechnung für BP. Allein den Wert des Küstenschutzes, den die jetzt bedrohten Feuchtgebiete normalerweise übernehmen, schätzen die UN-Experten auf mehr als 18 Milliarden Euro jährlich. Angesichts dieser Summe rechnen sich, so meint Kasten, natürlich die Renaturierungsmaßnahmen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Spardiktat des Berliner Senats
Wer hat uns verraten?
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!