UN-Chefvolkswirt über Finanzsystem: "Industriestaaten fürchten Machtverlust"
Dass der Weltfinanzgipfel der Vereinten Nationen weitreichende Beschlüsse fasst, wollen die Industrieländer verhindern, kritisiert UN-Chefvolkswirt Heiner Flassbeck.
taz: Herr Flassbeck, die Vereinten Nationen rufen zum Finanzgipfel, doch die Welt reagiert zurückhaltend. Auch aus Deutschland kommt nur die Entwicklungshilfeministerin, während zum G-20-Gipfel die Kanzlerin reiste. Warum?
Heiner Flassbeck: Es gab von Anfang an eine wenig konstruktive Haltung vonseiten der Industrieländer, weil sie die großen wirtschaftlichen und monetären Fragen nicht von den Vereinten Nationen behandelt sehen wollen. Sie wollen diese Fragen beim Weltwährungsfonds und der Weltbank belassen, weil sie hier von vornherein eine klare Mehrheit haben. Aber das ist keine global zukunftsfähige Position. Relevante Änderungen des Gesamtsystems müssen in der "G 192" vorgenommen werden.
Erwarten Sie dennoch Ergebnisse von der Konferenz?
Es wäre schon zufriedenstellend, wenn ein klarer Auftrag an die UN herauskäme, die systemischen Fragen zu stellen und zu vertiefen. Dazu braucht es eine Konferenz auf höchstem Niveau.
Der parallel laufende G-20-Prozess, also das Treffen der großen Industrie- und Schwellenländer, wurde rasch als "Bretton Woods II" bezeichnet. Ist das angemessen?
Die G 20 kann man gar nicht als Bretton Woods II bezeichnen. Das sind ja nur 20 Staaten. An Bretton Woods nahmen 1944 schon mehr als 40 Staaten teil. Außerdem greifen die G 20 die Frage eines globalen Währungs- und Wechselkurssystems nicht einmal auf.
Die G-20-Deklaration stellt klar, dass der freie Kapitalverkehr nicht zur Diskussion steht. Dagegen spricht der Bericht der UN-Expertenkommission rund um Nobelpreisträger Joseph Stiglitz von Transaktionssteuern und Kapitalverkehrskontrollen. Wie ist Ihre Position?
Eine Lenkung und Beschränkung des Kapitalverkehrs ist auch Unctad-Position. Doch die Stiglitz-Position ist nur der erste Schritt. Wenn ein Auto in Richtung Klippe fährt, reicht es nicht, langsamer zu fahren. Bestimmte Straßen dürfen überhaupt nicht mehr befahren werden!
Welche wären das?
Spekulation mit Währungen, Rohstoffen und Nahrungsmitteln, aber auch Private-Equity-Fonds. Die müssen geschlossen werden.
Wie wollen Sie das Spiel mit Rohstoffderivaten beenden?
Indem in jeden Vertrag hineingeschrieben werden muss, dass die Ware am Ende der Laufzeit auch abgenommen werden muss. Dann ist das Spiel vorbei. So große Lagerhallen haben die Finanzspekulanten nicht.
Und im Währungsbereich?
Indem wir ein vollständig geregeltes Währungssystem einführen und damit wie in Bretton Woods und in Europa die Wechselkursbildung nicht mehr dem Markt überlassen. Der Kern meines Vorschlags ist die Beendigung der Standortkonkurrenz durch constant real exchange rates: Sobald sich die Inflation in zwei Volkswirtschaften unterschiedlich entwickelt, werden die Wechselkurse angepasst.
Wie erklären Sie sich, dass die politische Elite der EU weder Ihren Vorschlag noch den von Keynes und Stiglitz unterstützt?
Sie fürchten, dass sie dann an Einfluss verlieren würden, weil sie glauben, dass der gegenwärtige Zustand mit der Dollarhegemonie die bessere Machtbalance darstellt. Sie sehen dabei nicht die Nebenwirkungen wie gerade in Osteuropa. Das wird gar nicht zur Kenntnis genommen, weil sie diese Krisen und die Instabilität für ein Naturgesetz halten.
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