UN-Bericht zu Auswanderern: Reiche verdienen, Arme ertrinken
Die UN preist die wirtschaftlichen Vorteile der Auswanderung in die Industrieländer: so fließe Geld zurück in die Heimatstaaten. Doch die armen Länder profitieren am wenigsten davon.
BANGKOK/WIEN taz | Migration ist ein Motor der Weltwirtschaft. Ohne sie werden die globalen Krisen der Zukunft nicht zu lösen sein. Dies ist die Kernaussage des "Berichts zur menschlichen Entwicklung", den das UN-Entwicklungsprogramm UNDP gestern in Bangkok und Wien vorgestellt hat.
Demnach gibt es keinen besseren Weg für Bewohner armer Länder, ihre Situation zu verbessern, als die Auswanderung. Durchschnittlich führt die Migration aus einem armen in ein reiches Land zu einem 15-mal höheren Einkommen und zu einer 16-fachen Verringerung der Kindersterblichkeit. Das nützt allen: Die Rücküberweisungen von Migranten in ihre Heimatländer summierten sich im Jahr 2007 auf weltweit 370 Milliarden US-Dollar.
Die UNO verlangt deshalb einen "New Deal": mehr Möglichkeiten zur legalen Arbeitsmigration, Schutz der Grundrechte von Auswanderern, billigere Rücküberweisungen. "Migration ist auch heute noch ein umstrittenes, reformbedürftiges und zu überprüfendes Problem quer durch die EU", sagte gestern UNDP-Hauptautorin Jeni Klugman. "Wir hoffen, dass unser Bericht Einfluss auf die Debatte nehmen und den insgesamt positiven Nutzen der Migration aufzeigen wird."
Doch der UN-Bericht illustriert auch die Grenzen der Wohlstandsmehrung durch Rücküberweisungen: Denn nur ein kleiner Teil davon besteht tatsächlich in Geldflüssen von reichen in arme Länder (siehe Grafik). Es gibt laut UNDP weltweit 214 Millionen Migranten, davon sind aber lediglich 70 Millionen aus Entwicklungsländer in Industrieländer gezogen. Entgegen verbreiteten Klischees sind die Ärmsten am wenigsten mobil: Nur drei Prozent aller Afrikaner leben in einem anderen Land als in ihrem Geburtsland, zumeist innerhalb des Kontinents. Manche Inselstaaten der Karibik hingegen zählen um die 40 Prozent Auswanderer unter ihren Bürgern.
Am ehesten auf Wanderschaft gehen gut ausgebildete Frauen aus kleineren Ortschaften in Ländern mit mittlerem Einkommen - sie müssen weg, um sozialem Druck zu entkommen, wie beispielsweise aus Ländern wie Afghanistan, Kroatien oder Ghana belegt.
Die ärmsten Länder sind auch bei der Migration marginalisiert. Die Rangliste der Länder, die am meisten Geld von ihren Auswanderern bekommen, wird nach den UN-Daten von 2007 von Indien angeführt, mit 35,3 Milliarden Dollar; es folgen China (32,8 Milliarden), Mexiko (27,1) und die Philippinen (16,3), danach Spanien (10,7, Polen (10,5), Nigeria (9,2) und Deutschland (8,6).
Nach Europa fließen fast viermal so viele Migrantenüberweisungen als nach Afrika und fast doppelt so viele wie nach Lateinamerika. Am höchsten im Vergleich mit dem Bruttosozialprodukt sind die Rücküberweisungen nach Tadschikistan (45,5 Prozent) und Moldawien (38,3 Prozent); das einzige afrikanische Land mit einem Anteil von über 10 Prozent ist Lesotho, dessen Bevölkerung zu großen Teilen in Südafrikas Bergbau arbeitet.
Vor allem für die Ärmsten der Armen sind viele Grenzen dicht, obwohl ihnen das Auswandern am meisten nützen würde. Hunderttausende Polen und andere Bürger osteuropäischer EU-Mitglieder durften seit 2004 nach Großbritannien reisen, um dort zu arbeiten, während Arbeitsuchende aus Afrika auf dem Weg nach Europa zu Tausenden regelmäßig im Meer ertrinken. Trotz immer einfacherer Kommunikations- und Reisemöglichkeiten liegt der Anteil von Migranten an der Weltbevölkerung seit 50 Jahren stabil bei rund 3 Prozent.
Der UN-Bericht warnt, dass die derzeitige Weltwirtschaftskrise harte Zeiten für Migranten bedeutet: Arbeitsplätze gehen verloren, Ausländer werden in manchen Ländern zur Rückkehr gedrängt. Die Rücküberweisungen von Migranten in ihre Heimat sind 2008 deutlich auf 308 Milliarden Dollar zurückgegangen und werden dieses Jahr weiter sinken, auf vermutlich 293 Milliarden Dollar. Wenn aber die Weltwirtschaft sich wieder erholt, nehmen auch die Migrationsströme wieder zu. Dies sei eine Chance für eine neue Politik, hofft das UNDP.
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