ULRIKE HERRMANN ÜBER DEN REICHTUM IN DEUTSCHLAND : Gewolltes Datenloch
Reichtum ist Macht. Mit Geld lässt sich politischer Einfluss kaufen, was nicht einmal direkte Korruption sein muss. Es kann auch subtiler laufen. Über Stiftungen, Lobbying, finanzierte Forschung – oder schlichte Abhängigkeiten. Reichtum gefährdet den demokratischen Grundsatz, dass jede Stimme gleich viel zählt. Also müsste es in einer Demokratie selbstverständlich sein, den Reichtum zumindest zu erforschen. Man muss ihn ja nicht gleich abschaffen.
Doch das Gegenteil geschieht. In Deutschland weiß man alles über die Armen und nichts über die Reichen. Bei Hartz-IV-Empfängern ist im Zweifel sogar bekannt, wie viele Zahnbürsten im Badezimmer stehen. Bei den Millionären hingegen ist noch nicht einmal erfasst, wie viele Millionen sie besitzen. Auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung konnte jetzt nur schätzen, dass das oberste Prozent bereits ein Drittel des Volksvermögens kontrolliert.
Dieses Datenloch ist politisch gewollt. Systematisch wurden alle Steuern abgeschafft, die einen Einblick in die Besitzverhältnisse geben. Die Vermögensteuer verschwand 1997, und seit 2009 werden Zinsen und Dividenden nur noch pauschal mit einer Abgeltungsteuer belegt. Auch die Erbschaftsteuer ist so konstruiert, dass niemand weiß, wie viele Milliarden Euro jährlich übertragen werden.
In anderen Staaten sind die Daten deutlich besser, etwa in Spanien oder den USA. Allerdings zeigen gerade die Vereinigten Staaten, dass Transparenz noch nicht garantiert, dass Gesellschaften gerechter werden. Zwar weiß in den USA jeder, dass die Reichen reicher werden, während die Reallöhne der Mittelschicht stagnieren. Doch Protest bleibt aus. Stattdessen stimmen sogar Arme für die Republikaner, die weitere Steuergeschenke für die Reichen versprechen.
Wissen allein führt nicht zu Wandel. Leider. Dennoch sichern sich die deutschen Millionäre lieber ab und verhindern eine Vermögensstatistik. Die Macht dazu haben sie.
Wirtschaft + Umwelt SEITE 8