ULRICH SCHULTE ÜBER DEN PARTEITAG DER GRÜNEN : Streiten geht anders
Das Klischee, die Grünen seien eine besonders streitbare Partei, hält sich hartnäckig. Doch mit der berühmt-berüchtigten Streitkultur ist es nicht mehr weit her.
Der Grünen-Parteitag in Kiel belegte wieder einmal, wie effektiv die Grünen-Spitze mit Blick auf die Wahl 2013 Geschlossenheit inszeniert. Und die Basis folgt erstaunlich widerspruchslos. Die wenigen Kritiker, die es noch gibt, sind allenfalls Folklore.
Der Kurs der Grünen ist klar. Sie drängen in die bürgerliche Mitte, sie kuscheln wegen des Green New Deals mit den Unternehmen. Vor diesen Grünen braucht sich niemand zu fürchten. Die Vermögensabgabe fokussiert dank großzügiger Freibeträge nur mehrfache Millionäre, und der neue Spitzensteuersatz trifft nur die zwei Prozent der Steuerpflichtigen, die über 80.000 Euro verdienen. Und auch die müssen nur den kleinsten Teil ihres Gehalts so hoch versteuern.
Gerade deshalb ist es verräterisch, wie nervös die Grünen-Spitze auf Kritik reagiert. Denen, die mehr fordern, brüllte Parteichef Özdemir in Kiel zu: Ob sie denn bitteschön Hochschullehrer und leitende Angestellte belangen wollten? Mal anders herum gefragt: Ja, warum denn nicht? Natürlich wäre einem Universitätsprofessor zuzumuten, 20 oder 30 Euro mehr Steuern im Monat zu zahlen. Er wäre wahrscheinlich auch bereit dazu, denn die obere Mittelschicht weiß um den Wert eines funktionierenden Gemeinwesens. Die Grünen jedoch wollen auf keinen Fall ihre Wähler belasten, auch wenn sie das nicht zugeben. Das ist für eine Partei ein verständlicher Reflex, der ihnen langfristig allerdings schaden wird. Erstens widerspricht er dem grünen Mantra, nur Ehrlichkeit helfe aus der Krise. Und zweitens hat es einer Partei nie genutzt, ihre Klientel zu unterschätzen.
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