ULI HANNEMANN, LIEBLING DER MASSEN : Die Wiege der Schweinegrippe
Frisch zurück aus Mexiko: „Oooinnk, ooink, ich bin das Mutterschiff, hihi“
Aus dem Wartezimmer heraus kann ich hören, mit welchen Problemen andere an den Anmeldungstresen kommen. Flankiert von einer Bande gleichgesinnter Klopper gibt ein Jugendlicher an: „Ich hab immer so Nasenbluten – ich würde gerne mal wissen, woran das liegt.“
Beim Keilen mal besser auf die Deckung achten, diagnostiziere ich still, und er geht dann auch, als er hört, der nächste Termin sei erst in zwei Wochen frei. Während ich darauf warte, aufgerufen zu werden, lese ich Stefan Wimmers empfehlenswerten „König von Mexiko“.
Das passt, da komme ich eh gerade her. Eine Blutuntersuchung steht an sowie ein allergologischer Test mit dem leicht frivolen Namen „Prick-Test“. Doch urologisch ist bei mir eigentlich alles in Ordnung. Ich habe nur die Schweinegrippe.
Natürlich bin ich der Einzige, der das weiß. Die können hier Blut abnehmen und so weiter, was sie wollen, das hilft alles nichts – sie werden nichts finden: das mag auch daran liegen, dass ich hier beim HNO-Arzt bin.
Oooinnk, ooink, ich bin das Mutterschiff, hihi. Und keiner ahnt was, kicher.
Zwar muss ich mir seit meiner Rückkehr aus dem Mexikourlaub zahlreiche sehr lustige Sprüche von den für ihre sehr lustigen Sprüche sehr berühmten sehr lustigen Kollegen anhören, doch wie lustig wahr das alles ist, das ahnen sie ja nicht in ihrer Lustigkeit. Sonst wär’s gleich noch viel lustiger.
Es dauert hier im Warteraum. Fein, so kann ich – oooink! – in Ruhe weitere Leute anstecken. Was gibt es hier denn sonst noch so zu lesen?
„Der erste infizierte Deutsche“, schreibt Bild auf der Titelseite. Man hat sein Gesicht unkenntlich gemacht – durch die Unschärfe sieht er oder sie aus wie ein Schwein oder eine Schweinin, eine Sau. Das musste ja passieren. Schließlich ist dies und sonst keines das wahre Land der Schweine.
Welches Land, wenn nicht Deutschland, kann, ja muss die ursprüngliche Wiege der Schweinegrippe, der Schweinepest, des Schweineschnupfens, im Grunde sämtlicher Schweinereien überhaupt sein. Endlich hat sich die Schweinegrippe besonnen, aufgemacht und ist dahin zurückgekehrt, wo sie herkommt und wo sie hingehört. Nicht nach Lateinamerika, wo immerhin ein paar versteckte Altnazis den Erreger hochgehalten haben bis zum heutigen Tag, sondern ins Mutterland.
„Schweinegrippe is coming home, it’s coming home, it’s coming?“
Eine Volkskrankheit hat ihr Volk wiedergefunden. Kann es eine typischere Malaise für uns geben? Noch vor Alkoholismus, Polizeigriff und Sehnenscheidenentzündung wegen Hebens des rechten Arms? Das Schwein, das deutsche Tier, das wie kein anderer Warmblüter unsere Vorlieben und Vorzüge wie auch unser gespaltenes Verhältnis zu uns und unserer Nation ausdrückt, nun ist es krank. Mit ihm krankt der Mensch. Und wem hat er das alles zu verdanken, na? Mir, dem treuen Rückkehrer. Man sieht es mir nicht an, ich bin nur Überträger. Ansonsten bin ich schweinemäßig komplett immun. Kein Tag vergeht in meinem Leben, an dem ich nicht in meinem Heißhunger wenigstens ein, zwei Schweine verdrücke, mit Stumpf und Stiel und H1N1, Schwein versenkt.
„Herr Hannemann!“ Ah, ich werde aufgerufen. Kein Problem, denn mit den Wartezimmerleuten bin ich garantiert fertig. „Ooink!“, antworte ich der Sprechstundenhilfe freundlich. Sie guckt irritiert. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich sie zur Begrüßung auf den Mund küsse. Sie hat schon recht – mir ist selbst nicht wohl dabei. Aber die Ansteckung ist so nun mal sicherer, ich muss das machen, für Deutschland.
Nach der Blutentnahme habe ich Hunger. Ich könnte ein ganzes Schwein essen und das tue ich auch. Am nächsten Schweinestand in der Karl-Marx-Straße hole ich mir ein Bratschwein und dazu eine Limo. Ich kann mir das ja leisten, ist doch eh schon wurst. Das Kind ist längst in den Schweinetrog gefallen.