piwik no script img

U-Haft ist keine Erziehungsmethode

■ Justizsenatorin Limbach zur Jugendkriminalität: »Erziehung statt Strafe« geht bei Jugendlichen vor

Berlin. Gegen den Vorwurf, die Berliner Justiz verhänge trotz steigender Jugendkriminalität unverhältnismäßig milde Strafen, hat sich Justizsenatorin Jutta Limbach (SPD) gemeinsam mit Justizvertretern gestern öffentlich verwahrt. Gemäß dem obersten Grundsatz »Erziehung statt Strafe« sei Haft ohne Bewährung das letzte Mittel des Jugendgerichtsgesetzes, betonte Generalstaatsanwalt Heinze. Auch eine Untersuchungshaft sei nur bei Fluchtgefahr angemessen. Vorbeugehaft oder abschreckende Wirkung durch Inhaftierung seien nicht vorgesehen.

Dennoch sitzen 138 Jugendliche unter 21 Jahren zur Zeit in Berlin in Untersuchungshaft. Lediglich 28 Plätze hat das Haus Kieferngrund, die einzige kurzfristige Unterbringungsmöglichkeit speziell für straffällig gewordene Jugendliche unter Federführung der Senatsjugendverwaltung. Die dortigen Sicherheitsvorkehrungen entsprächen allerdings nicht den Vorstellungen der Justizverwaltung, teilte Limbach mit. Die übrigen Jugendlichen sind in der Jugendstrafanstalt Plötzensee untergebracht und harren dort der Gerichtsverhandlung.

Ein Hauptproblem ist immer noch die Dauer der Verfahren. Manche ziehen sich über mehr als ein Jahr hin. Mit zehn zusätzlichen Staatsanwälten im Jugendbereich hofften sie allerdings, die Rückstände spätestens in fünf Monaten aufgearbeitet zu haben, versprach Heinze gestern. Kritisch äußerten sich zwei Praktiker über den erzieherischen Wert von Jugendstrafen: Bewährungshelferin Hanni Winkler und Jugendrichter Helmut Frenzel forderten mehr pädagogische Maßnahmen: »Eine Straftat ist das Resultat unbewältigter Konflikte«, so Winkler. Nach einem Jahr fehle den Jugendlichen jeglicher Bezug zu dem begangenen Unrecht.

Winkler forderte den Ausbau des Täter-Opfer-Ausgleichs, der bisher trotz guter Erfolge nur in einigen Bezirken Berlins durchgeführt wird. Mit ihm würden Jugendliche auch emotional noch einmal mit der Tat konfrontiert. »Mit U-Haft kann nicht erzieherisch gearbeitet werden«, stellte auch Jugendrichter Helmut Frenzel klar. »Es könnte noch weniger verhaftet werden. Das Jugendstrafrecht als Teil der Jugendhilfe kann wahrscheinlich am wenigsten dazu beitragen.« Daß härtere Strafen nicht weniger Kriminalität bedeuteten, sei inzwischen erwiesen.

Jutta Limbach erwägt indessen, gemeinsam mit Brandenburg eine geschlossene Einrichtung für Jugendliche auf dem Land zu errichten. Dort sollten sie sinnvolle Arbeit leisten und so resozialisiert werden. Denn trotz »Erziehung statt Strafe«: Ohne verschlossene Türen will die Justiz in absehbarer Zeit nicht auskommen. »Wir sind auf geschlossene Unterbringungsmöglichkeiten angewiesener, als manche das gerne hätten«, stellte Jutta Limbach klar. jgo

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen