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Archiv-Artikel

Typen, die im Pyjama schreiben

„Hello Garci!“: Nach dem amerikanischen Journalisten Dan Rather wird nun die philippinische Präsidentin Gloria Arroyo Opfer politischer Blogs. Mit diesen privaten Internetseiten entsteht eine neue, kaum kontrollierbare Form des Bürgerjournalismus

Erstmals könnte der Druck aus der „Blogosphäre“ einen führenden Politiker zu Fall bringen

VON TILMAN BAUMGÄRTL

Die Commonwealth Avenue in Manila war am vergangenen Montag in ihrer vollen Länge abgesperrt. 50.000 Demonstranten blockierten die Ausfallstraße, an der das Abgeordnetenhaus der Philippinen liegt. An diesem Tag sollte Präsidentin Gloria Arroyo ihr jährliches „State of the Nation Address“ vortragen. Für Demonstranten von links und rechts eine gute Gelegenheit, ihre Unzufriedenheit mit der Präsidentin auszudrücken: „Gloria, step down!“ steht auf den Bannern oder: „Out, Gloria, out!“ Und immer wieder das Bild von einem Handy, neben dem steht: „Hello Garci!“

„Hello Garci“, der Gruß ist in den Philippinen in den letzten Wochen zu einem geflügelten Wort geworden. So beginnt ein Telefonat, dass Präsidentin Arroyo während der Wahl 2004 mit dem Wahlleiter geführt hat. Der Angerufene, Virgilio Garcillano, ist seit den Zeiten des philippinischen Diktators Marcos bei der Commission on Elections (Comelec) tätig und dürfte der Drahtzieher der Betrügereien sein, die bei dieser Wahl offenbar stattgefunden haben.

Einige Fragen der Präsidentin legen nahe, dass sie ihn genau deswegen angerufen hat: Sie will unter anderem wissen, ob sie mit einer Million Stimmen vor ihrem Herausforderer siegen würde. Und obwohl die Auszählung noch nicht abgeschlossen war, sagt Garcillano ihr einen Sieg zu. Arroyo hat inzwischen einen „Lapsus im Urteilsvermögen“ eingeräumt. Einen Rücktritt lehnt sie jedoch kategorisch ab.

Der jähe Fall der einstigen Hoffnungsträgerin ist nicht durch die Arbeit der Opposition oder der traditionellen Medien ausgelöst worden. Gloria Arroyo ist zum Opfer eines neuen Medientyps geworden, der im Internet immer stärkere Bedeutung bekommt: der Blog. Blogs, eine Abkürzung für Weblogs, sind persönliche Internetseiten, die regelmäßig, oft mehrmals täglich aktualisiert werden. Sie können von einer Person stammen, aber auch von Gruppen moderiert werden. Gratissoftware aus dem Internet hat es einfach gemacht, solche Internet-Logs zu erstellen. Schon lange äußern sich nicht mehr nur Computernerds online in ihrem Blogs über Gott und die Welt. Viele Blogs sind wenig mehr als öffentlich geführte Tagebücher. Aber einige sind unverzichtbare Orientierungshilfen in den unübersichtlichen Weiten des Internets, weil sie täglich aktuelle Links zu interessanten Artikeln im Netz anbieten zu Themen, die von High-Tech-Spielzeug bis zur großen Politik reichen.

Je nach Perspektive sind diese politischen Blogs entweder Sammelpunkt für „Online-Lynch-Mobs“ oder eine neue Form des Bürgerjournalismus. Unbestritten haben sie eine neue Dynamik in die Medienlandschaft gebracht. Diese Dynamik muss die philippinische Präsidentin Arroyo gerade am eigenen Leibe erfahren. Denn ohne Blogs wären die Mitschnitte der Telefonate, die sie belasten, nie an die breite Öffentlichkeit gelangt.

Wer die Telefonate aufgezeichnet hat, ist genauso unklar wie die Frage, wie sie in die Hände anderer Politiker gelangten. Im April wurden jedenfalls Kassettenkopien der belastenden Bänder an eine Reihe von Politiker versandt, per Kurier und ohne Absender. Einige philippinische Zeitungen veröffentlichten Ausschnitte aus den Telefonaten auf ihren Websites, die sie aber wieder entfernten, als Justizminister Gonzáles drohte, jeder mache sich strafbar, der die illegalen Mitschnitte verbreite.

Zur selben Zeit hatte das unabhängige Philippine Center for Investigative Journalism (PCIJ) die Bänder digitalisiert und transkribiert und veröffentlichte das Material, zum leichteren Download im beliebten Audioformat MP3 unterteilt, in seinem eigenen Internet-Blog. Die Website erlebte in den folgenden Tagen einen solchen Ansturm, dass der Server mehrfach wegen Überlastung zusammenbrach. In einem Monat griffen fast zwei Millionen Menschen auf die Site zu.

Andere philippinische Blogger kamen zur Hilfe und „spiegelten“ die Dateien auf ihren eigenen Blogsites. Der Oppositionspolitiker Manuel Quezon speiste die Dateien in Filesharing-Netzwerke wie Limewire oder RapidShare ein. Die Mitschnitte wurden zur Grundlage von inzwischen über fünfzig Klingeltönen, die auf Websites wie der von TXTpower.org herunter geladen werden können. Auf dem Handy kann man „Hello Garci“ inzwischen unter anderem in HipHop- und Techno-Versionen hören.

Doch in einem Entwicklungsland wie den Philippinen ist der Internet-Zugang langsam und ein Privileg der Oberklasse. Erst als die Banden, die mit illegalen Piraten-DVDs ihr Geld verdienen, auf „Hello Garci“ ansprangen, erreichten die Mitschnitte wirklich die breiten Massen. In weniger als einer Woche hatten die Schwarzhändler in Manila, die an jeder Ecke Mitschnitte von brandneuen Kinofilmen wie „Krieg der Welten“ anbieten, die präsidialen Telefonate im Sortiment.

Die CDs, die nur wenige Peso kosten, wurden zum Auslöser der Regierungskrise. Nun konnte jeder dabei zuhören, wie die sich unbeobachtet glaubende Präsidentin mit dem Wahlleiter mauschelte. Die Popularität von Gloria Arroyo fiel unter die des ehemaligen philippinischen Diktators Marco am Ende seiner Amtszeit. Ein Amtsenthebungsverfahren gegen sie wird gerade eingeleitet. Sollte sie tatsächlich entmachtet werden, wäre es das erste Mal, dass ein führender Politiker durch Druck aus der „Blogosphäre“ gestürzt worden wäre.

Im vergangenen Jahr verlor der US-Nachrichtenmoderator Dan Rather seinen Posten. Er hatte in seiner Sendung Dokumente präsentiert, die beweisen sollten, dass Präsident Bush sich um einen Teil seines Militärdienstes gedrückt hatte. Die US-Medien verbreiteten die Story, doch bald erbrachte eine Gruppe von Bloggern Belege dafür, dass die Dokumente gefälscht waren: Die Memoranden waren mit dem Computerprogramm Word und nicht auf einer Siebzigerjahre-Schreibmaschine getippt worden, auch die militärischen Bezeichnungen waren falsch. Rather beschimpfte Blogger zwar als „Typen, die im Pyjama in ihren Wohnzimmern sitzen und vor sich hin schreiben“. Doch kurz darauf verlor er seinen Job.

In den Philippinen hat übrigens bereits beim letzten Regierungswechsel moderne Telekommunikationstechnik eine entscheidende Rolle gespielt. Die Proteste gegen den ehemalige Präsident Joseph Estrada wurden per SMS ausgelöst und koordiniert. Estrada sprach in einem Interview nach seiner Entlassung davon, das Opfer eines „Coup de text“ geworden zu sein.