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Twitter-Zeichner „meta bene“Aphorisierende Antilopen

Als meta bene veröffentlicht Autor Robin Thiesmeyer täglich ein Strichtierbild auf Twitter. Seine Figuren haben keine Münder, sagen aber schöne Dinge.

@meta_bene: „Skizze für einen Spielfilm (90 Minuten)“. Screenshot: @meta_bene

Am Anfang waren Schwärme. Käferschwärme. Dann kamen Pinguine, Fische, Raben, Schnecken, Antilopen und Flamingos. Stehend, kriechend, fliegend oder schwimmend, meistens zu zweit, manchmal allein, sagen sie nicht mehr als einen Satz in einem Bild.

Obwohl diese aphorisierende Strichtierwelt nur aus wenigen Tuschestrichen besteht, können die Protagonisten darin auf zig verschiedene Weisen gucken. Sie schauen auf ein Tier herab oder himmeln ein anderes an. Sie machen traurige, erstaunte, fröhliche Gesichter, große Augen oder staunen mit offenen Mündern. Dabei haben diese Tiere weder Augen noch Münder, nicht mal Punkt, Punkt, Komma, Strich. Der lebendige Eindruck entsteht durch die Reduktion, das perfekt Unperfekte der Zeichnung und die kurzen und direkten Sätze, die so lässig dahingesagt sind wie es eben nur die lässigen Flamingos, Antilopen oder Schnecken unter uns können.

„Eigentlich ist das alles abstraktes Viehzeug, das immer dieselben Bewegungen macht. Ich dreh nur den Schwung hin und her“, sagt der Schöpfer dieser Strichtierwelt. Er veröffentlicht seine Bilder unter dem Namen meta bene auf Twitter. Täglich eins. Als er anfing, gab es die Miniaturvorschau bei Twitter noch nicht. Die Zeichnung war nicht zu sehen, nur der Link. Deswegen dachte er sich zu jedem Bild einen Titel aus. „Manchmal sind die Zeichnungen sehr abstrakt und kriegen erst durch diese Zeile ihren Witz, manchmal eine zweite Ebene“, sagt er.

Wie alte Freunde

Unter dem Titel „Teamgeist“ zum Beispiel stehen sich zwei Antilopen gegenüber. Sagt die eine zur anderen: „Mach du dir Gedanken. Ich mach uns Drinks.“ In einem anderen Bild fragt die eine Schnecke: „Wieviel ich kennt man von sich?“ Denkt die andere: „Und wieviel du kommt dazu?“ Manchmal fliegen auch einfach nur Schwalben durch das Bild, die selten mehr als „Hui!“ sagen oder – öfter noch – denken.

Man wäre gern immer in Gesellschaft dieser kleinen Dinger. Hat man sie einmal kennengelernt, will man ihnen Namen geben, weil sie einem trotz ihrer Gesichtslosigkeit so vertraut und lieb sind wie alte Freunde. Die Tiere heißen aber nicht, sehen nicht aus und machen auch keine Stammtischwitze. Mitunter sind es ganz traurige Tröpfe, die Nachdenkliches sagen, über das man trotzdem schmunzelt.

Wer überhaupt als Twitterer wahrgenommen werden will, muss ständig Bescheidwisser-Links, irgendeine Meinung in Form eines flotten Spruchs oder einer literarischen Note, aber auf jeden Fall dauernd und sekundenaktuell „absetzen“. Doch meta bene kommentiert nichts. Nur ganz ausnahmsweise verarbeitet er einen politischen Anlass, das Twitter-Verbot in der Türkei, das Attentat auf Charlie Hebdo.

Seine Themen sind nicht die Großereignisse, die Politik, die Medien, die Kultur, seine Themen sind der Alltag, das Leben, die Fragen der Philosophie. Seine Miniaturen mit ihrem reduzierten Strich und ihren naiven Fragen und Antworten geben den abgehangenen Erwachsenen die großen Kinderaugen wieder zurück, die es ermöglichen, die Seltsamkeiten und Kompliziertheiten des Lebens äußerst seltsam zu finden, Fragen zu stellen, die die meisten Erwachsenen sich gar nicht mehr zu fragen wagen, weil die Antwort so selbstverständlich erscheint.

Gelernter Zeichner ist meta bene nicht. Gelernter Schriftsteller schon. meta bene ist Robin Thiesmeyer, Absolvent der Hildesheimer Schreibschule. Schon in seiner Zwischenprüfung kombinierte er Comic-Strips mit Kurzprosa. „Ich habe in den Vorlesungen immer alles vollgekritzelt. Hätte ich das nicht getan, hätten mich die Vorlesungen tierisch gelangweilt“, erzählt er. Ein expliziter Tierfreund sei er aber nicht. „Im Seminar zu abstrakten Formen, Suprematismus und dem Geistigen in der Kunst hab ich irgendwann einfach angefangen, Tiere zu malen.“

Nach Feierabend

Es war Thiesmeyers ehemaliger Lehrer, der Hildesheimer Literaturprofessor Stephan Porombka, Herausgeber der Anthologie „Über 140 Zeichen“ und einer der Pioniere der deutschen Twitteratur-Szene, der ihm empfahl, meta bene als Tweets zu veröffentlichen.

„Eine gewisse Intellektualität haben die [Tiere] schon, aber auf die Dauer wird das schnell nervig“, erzählt Thiesmeyer. Die Theoreme, die meta bene benutzt, muss man nicht kennen, um darüber zu schmunzeln. Es gibt kein Namedropping und keine Auskenner-Sprache. „Ich will mit Sprache so spielen, dass es Spaß macht, Sachen ausdrücken, die mit dem Kopf was machen, aber so, dass man es nach Feierabend versteht“.

Auch als Autor hinter meta bene will Thiesmeyer gar nicht so sehr in Erscheinung treten. „Ich will nicht, dass sich Leute fragen, was Robin Thiesmeyer ihnen damit sagen will. Ich will ein ästhetisches, ein minimalistisches Programm“. Die Bilder sollen für sich wirken, meta bene kommentiert auch keine Kommentare unter seinen Tweets. „Sonst müsste ich den Witz ja erklären.“ Retweets werden nicht gegeben. „Diese Arroganz leiste ich mir.“

meta bene entsteht mit Tuschpinselstift auf einem DIN-A4-Skizzenblock. Seine Arbeitsweise nennt er „japanische Technik“. So wie die Dynamik des Wassers auf einem japanischen Wasserfall-Kitschbild durch das Ufer erzählt werde, würde das weiße Papier durch die Anordnung der Tiere räumlich werden. Thiesmeyer scannt seine Bilder nicht ein, sondern fotografiert sie unter der Schreibtischlampe mit der Handykamera. „Wenn ein Tier oben links in die Ecke guckt, dann stelle ich die Lampe so hin, dass das Tier da reinguckt.“ Manchmal stecken zig Versuche dahinter, wenn der Fühler nicht so geworden ist oder die Schwalbe nicht als Schwalbe zu erkennen ist. Will jemand ein Bild kaufen, kalligrafiert Thiesmeyer es auf teurerem Sumi-e-Papier. Preise nennt er nicht. „Das ist Verhandlungssache.“

Reden kann Robin Thiesmeyer. Er spricht eher leise, fast zurückhaltend, aber lange, pointiert und begeisternd. Den großen Roman aber hat er nie geschrieben. Über seine vergangenes Jahr bei Amazon erschienene Kurzgeschichte „Der Hallimasch“ hat sein Agent gesagt, dass da alles drinstecke und er einen Roman daraus machen soll. „Aber wenn da schon alles drin ist, was soll ich denn da noch dazuschreiben?“

Als junger Literat war Thiesmeyer bei den wichtigsten Nachwuchswettbewerben geladen, dem open mike, dem „Häschenkurs“ in Klagenfurt. Den Druck, dass der erste Roman das große Ding werden muss, hielt er aber nicht aus. „Durch das Studium war das Reflexionsvermögen zu hoch. Ich konnte nicht mehr einfach so losschreiben.“ Heute liest er lieber Kurzprosa, Miniaturen wie Walter Benjamins „Einbahnstraße“. „In Romane komme ich nicht mehr rein, höchstens noch im Urlaub. Das Leben ist viel zu wechselseitig.“

Kürzlich waren Thiesmeyers Schwärme auf großen Werbeflächen an einigen Berliner Bahnhöfen zu sehen. Die meisten Dranvorbeigeher nahmen davon wahrscheinlich kaum Notiz. Einem Buch, in dem man die sonderbar herzliche und intelligente Strichtierwelt von meta bene bereisen könnte, würde das nicht passieren. Der zeichnende Philosoph plant, seine Antilopen, Schnecken, Pinguine und Flamingos als einzelne Hefte herauszubringen.

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