Tusk gewinnt Vertrauensfrage: Jetzt müssen die Demokraten zur Besinnung kommen
Statt das Narrativ der Rechtspopulisten zu übernehmen, sollten die demokratischen Staaten der EU Polen dabei helfen, demokratisch zu bleiben.

N atürlich ist es begrüßenswert, dass der polnische Premier Donald Tusk und seine proeuropäische Viererkoalition die Vertrauensabstimmung im Parlament gewonnen haben. Doch der vor gut zehn Tagen frisch gewählte Präsident Karol Nawrocki kündigte bereits an, dass er die Boykottpolitik seines Vorgängers, des rechtspopulistischen Präsidenten Andrzej Duda, fortsetzen werde. In einer solchen Situation wäre es gut, wenn sich die demokratischen Staaten in der EU mit der Tusk-Koalition solidarisierten. Andernfalls wird genau das passieren, was kein Demokrat wollen kann: Im permanenten Wahlkampf, den Jarosław Kaczyński, der mächtige Parteichef der nationalpopulistischen Recht und Gerechtigkeit (PiS), bereits ausgerufen hat, wird Tusk das Narrativ der Demokratiezerstörer aufgreifen und zumindest teilweise zu seiner eigenen Agenda machen.
Im Fall der Migration ist das bereits jetzt der Fall. In seiner Regierungserklärung erläuterte Tusk zwar ausführlich, welche Ausländer die deutsche Regierung unter Friedrich Merz nach Polen abschieben wolle, doch er kündigte auch an, dass seine Regierung in wenigen Wochen die deutsch-polnische Grenze zumindest teilweise schließen werde, sollte Deutschland weiterhin die Schengen-Regeln missachten. Er habe dies bislang nicht getan, weil im Grenzgebiet Hunderttausende Pendler lebten – Deutsche wie Polen –, deren Alltag dadurch stark beeinträchtigt würde.
Um den „starken Mann“ zu markieren, den es laut PiS nur unter PiS-Politikern gebe, und um die „Sicherheit des Landes“ zu gewährleisten, setzte Tusk bereits das Menschenrecht auf Asyl an der polnisch-belarussischen Grenze außer Kraft. Wenn die demokratischen Politiker Kanzler Merz und Premier Tusk nicht rechtzeitig zur Besinnung kommen, werden sie über kurz oder lang das Schengen-Recht auf Freizügigkeit aushebeln. Die Reisefreiheit aller EU-Bürger könnte massiv eingeschränkt werden, um diese vor angeblich „kriminellen“ und „illegalen“ Menschen aus Afrika und Asien zu schützen.
Dahinter steht jedoch keine Überzeugung, sondern die Unfähigkeit, den Argumenten der rechtsextremen Parteien AfD und PiS eine europäisch abgestimmte Politik entgegenzusetzen. Dabei gibt es ein Mittel gegen die permanente Lüge der Populisten. Es ist – ganz banal, aber auch unerbittlich und hart: die Wahrheit.
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