Turnschuh-Doku auf Arte: Der Schweißfuß der Popkultur
"Meine Adidas hält niemand auf, wenn ich über die Bühne lauf" sangen Run DMC. Dem quietschenden Sinnstifter widmet sich die Doku "Sneakers - Der Kult der Turnschuhe" (21:45).
Wenn es ein männliches Rollenmodell von nahezu universeller Gültigkeit gibt, dann ist das heute der schwarze Mann. Seine kulturelle wie kapitalistische Hegemonie kulminiert in einem banalen Gegenstand; ihn feiert frenetisch diese Doku von Thibault de Longeville: Erzählt wird vom Siegeszug des "Turnschuhs", wie Sneaker einmal genannt wurden, als man sie noch aus primär sportlichen Gründen trug.
Damit war es spätestens 1982 vorbei, als Run DMC mit der Single "My Adidas" nicht nur dem eigenen New Yorker Lebensstil ein Denkmal setzten ("Meine Adidas hält niemand auf, wenn ich damit über die Bühne lauf"), sondern dafür auch eine Million Dollar von der Aktiengesellschaft aus Herzogenaurach kassierten. Nur wenigen Hochzeiten von Kapital und Subkultur war jemals ein so ausdauernder Erfolg beschieden, und so erschöpft sich dieser Film im affirmativen Bestaunen des ubiquitären Sinnstifters mit den leise quietschenden Sohlen. Was für den Biologen die Fruchtfliege, ist für den Kulturwissenschaftler der Turnschuh, ein in seiner erschlagenden Zeichenhaftigkeit ideales Untersuchungsobjekt. Und doch hat sich seit Baudrillards legendärem Aufsatz "Aufstand der Zeichen" von 1975 hier nichts Wesentliches mehr getan, sieht man vom ungebrochenen Boom dieser Zeichen ab.
Zu Wort kommen also all die "edlen Wilden", wie Baudrillard sie nannte: der Produktdesigner, der früher Graffiti malte, ebenso wie der Musiker, der sich zum Unternehmer mauserte, oder der Breakdancer, der heute als Trendscout arbeitet. Zeitzeugen an Originalschauplätzen schildern, wie der Schuh zum Statussymbol wurde, für den sogar gemordet wird, wie die Industrie ihr Glück nicht fassen konnte und nach Wegen suchte, den Erfolg zu verstetigen. Legendär die Idee von Nike, einem randständigen Sportartikelhersteller für die weiße Mittelschicht, mit dem "Air Jordan One" ganz auf den Basketballer Michael Jordan zu setzen. Arrivierte Designer erklären mit dünnem Lächeln, wie damals von Regisseur Spike Lee ("Do The Right Thing") das Konzept des guerillamäßigen Cross-Marketing perfektioniert wurde. Nike-Chef Philip Knight wird unwidersprochen als "Genie" gehuldigt. Und ein passionierter Sammler irrt durch seinen begehbaren Schuhschrank wie eine Imelda Marcos, die im Körper eines Bronx-B-Boys gefangen ist: "Ich komme mir schon vor wie eine Frau." Irgendwann schwirrt einem der Kopf von all den Modellen, die in schneller Folge das Nonplusultra der Coolness verkörpern sollen, bis zum von dem Rapper 50 Cent vermarkteten Reebok-Modell "RBK".
All dies wirkt wie ein kapitalistisches Märchen, das nur Gewinner kennt und in eine parareligiöse, fast schon kommunistisch anmutende Egalität mündet, in der alle Beteiligten wie glückliche Planeten um den Sneaker kreisen. Herzlich egal hingegen ist dem gut gelaunten Film, dass der bejubelte Erfolg des Turnschuhs überwiegend mit lachhaft bezahlter Kinderarbeit in Indonesien und anderswo erwirtschaftet wurde. Aber so ist das eben mit der Kulturwissenschaft: Sie interessiert sich nicht für Schweißfüße. ARNO FRANK
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