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Turner Preis-RetrospektiveDie schönsten Hits

In der Londoner Tate werden 23 Jahre Turner Preis gezeigt: glamourös, jung, medienwirksam. Doch die Ausstellung ist brav chronologisch und lässt kritische Punkte aus.

Mit "Mother and Child Divided" gewann Damien Hirst 1995 den Turner Preis. Bild: ap

Dreiundzwanzig Jahre Turner-Preis. Das ist zumindest von der Zahl her kein zwingender Grund, eine Retrospektive zu eröffnen. Doch der diesjährige Turner-Preis wird ausnahmsweise nicht in London, sondern in Liverpool, Kulturhauptstadt 2008, gefeiert, und das bedeutete für die Tate Britain zunächst eine unschöne Lücke in ihrer Agenda. Um also zumindest ein bisschen des gewohnten Spektakels zu haben, läuft ab dieser Woche der bereits länger schon geplante Rückblick auf den wichtigsten britischen Preis für Gegenwartskunst.

Die Kunstmarktexpertin Sarah Thornton bezeichnete den Turner-Preis im Vergleich mit anderen Ehrungen wie dem Hugo-Boss-Preis des Guggenheim oder dem Bucksbaum Award des Whitney Museums kürzlich als perfekte Mischung aus Academy Award und American Idol. Glamourös, jung, medienwirksam. Hatten die ersten Preisverleihungen ab 1984 noch den zugeknöpften Charme von Thatcher-Parlamentssitzungen, erhielten sie ab 1991 durch Sir Nicholas Serota, Direktor der Tate Gallery, und den Kunstkritiker Waldemar Janusczek, damals bei Channel 4, ein glättendes Facelifting: Fortan durften Nominierte nicht mehr älter als 50 Jahre sein, die Verleihung wurde live im Fernsehen übertragen und Stars wie Madonna eingeladen, um den Gewinner zu verkünden.

Die Ausstellung beginnt mit der bereits damals "älteren" Generation um Malcom Morley (ausgezeichnet 1984), Richard Long (1989) oder Howard Hodgkin (1985). Hodgkins Gemälde, bei denen sich die Farbe typischerweise bis über den Rahmen ausbreitete, mögen heute ungewollt dekorativ wirken. In den 70er Jahren, in denen er damit begann, war es eine weitere Form, den begrenzenden Rahmen zu sprengen.

Im selben Raum wölbt sich von Richard Deacon eine große, hölzerne Skulptur wie ein zersäbeltes Möbiusband (1987). Sie würde wunderbar korrespondieren mit den feinen Farbnähten, die sich bei Tomma Abts (2006) durch die vielen Schichten ihrer Gemälde drücken. Doch die Schau wagt es nicht, Gewinner und Stile aus 23 Jahren nebeneinanderzustellen und zum Vergleich herauszufordern, und so geht man die Chronologie brav von Raum zu Raum ab.

Es ist eine Retrospektive, doch sie funktioniert nicht wie die Rückschau auf eine Strömung. Vielmehr ergeht es einem beim Durchschlendern wie beim Hören eines Best-of-Albums, mit Gewinnern, die in den Medien inzwischen gefeiert werden wie Stars der britischen Popkultur. Elegant verschwiegen wird auf den großen Übersichtstafeln an den Wänden die Dunkelziffer an Künstlern, die die Nominierung abgelehnt haben: der Piktogramm-Künstler Julian Opie, die Malerin Luzy McKenzie und angeblich auch Cerith Wyn Evans und Sarah Lucas.

Und natürlich gäbe es auch genügend andere Kritikpunkte in der Geschichte des Preises. Zum Beispiel, dass Tomma Abts tatsächlich erst die dritte Preisträgerin ist. Oder die Tatsache, dass sich unter den Nominierten seit Jahren stets ein alternder Young British Artist befindet, in diesem Jahr Mark Wallinger.

Fast schon rituell wird im Vorfeld der Verleihung die Debatte um zeitgenössische Kunst aufgerollt. Denn immerhin fußt die gesamte Mission des Turner-Preises auf der Idee, mehr Leute für zeitgenössische Kunst zu interessieren, wie die Kuratoren sagen. Zwar liegt ein Teil des Erfolgs am steigenden Medienhype, doch profitierte die britische Auszeichnung innerhalb der vergangenen Jahre vor allem vom diskreten Zusammenspiel von Markt, Museen und Sammlern. Superkollektor Charles Saatchi kaufte diverse Künstler, die nominiert wurden und deren Arbeiten schließlich, "veredelt" durch die Teilnahme, in die Auktionshäuser wanderten. Die Ausstellung nun bringt die Klassiker der Kunstmarkthysterie zusammen, Damien Hirsts zerteilte Kuh nebst Kalb ist dabei, Gilbert & Georges wandfüllende, grelle Fotoarbeiten, oder Chris Ofilis Kuhdung-Porträts. Wer es bisher verpasst hat, Steve McQueens geniale Videoarbeit "Deadpan" zu sehen, hat hier die Chance: In unzähligen Einstellungen kracht eine Häuserwand slapstickhaft über dem Preisträger von 1999 zusammen und verschont ihn allein, weil er exakt dort steht, wo sich ein scheibenloses Giebelfenster befindet.

Mark Wallinger, diesjähriger Nominierter neben Zarina Bhimji, Nathan Coley und Mike Nelson, verlegte die legendäre, doch schließlich verbotene Antikriegsinstallation vor dem Parlament ins Museum und stilisierte es dadurch zum letzten politisch-ästhetischen Zufluchtsort. Damit schließt er an eine dokumentarisch-konzeptuelle Praxis an, für die 2004 und 2005 bereits Jeremy Deller und Simon Starling die Auszeichnung erhielten. Von Seiten der Besucher gilt Wallinger bereits als Favorit, was sich denn auch auf den beliebten Zetteln im letzten Raum der Turner-Preis-Schau in Liverpool zeigen wird: Unter dem Motto "Judge yourself" wird seit Jahren die freie Meinungsäußerung zelebriert. Dabei ist es am Ende natürlich nie die Popkultur, die darüber entscheidet, was gute Kunst ist, sondern eine Expertenjury aus dem gewohnten Kunstkarussell.

"Turner Prize: A Retrospective 1984-2006", bis 6. Januar 2008, Tate Britain. Die Schau zum Turner-Preis 2007 läuft vom 18. Oktober bis 13. Januar 2008 in der Tate Liverpool

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