: Turbokapitalistische Argumente
betr.: „Uni-Gebühr steht vor der Tür“ u.a., taz vom 22. 3. 00
Man lernt nie aus! Studiengebühren sind also eine soziale Wohltat, da sind sich Industrielobbyisten und mehr und mehr Kultusminister einig. Der Grund: Bisher bezahle die Verkäuferin über ihre Steuern das Medizinstudium des Arztsohnes. Schade nur, dass das Deutsche Studentenwerk diese Behauptung überprüfen ließ.
Die Umverteilung von unten nach oben findet, so das Ergebnis der Studie, nicht durch die Hochschulen statt: Der Arzt bezahlt das Studium seines Sohnes dank der Steuerprogression immer noch selbst. So schön es ist, das populistische Schlagwort der Fans von Studiengebühren als faul zu entlarven, man sollte sich auf diese Argumentation nicht einlassen. Denn es ist nur eine Frage der Zeit, dass sie recht haben werden. Nach der angekündigten Steuerreform wird der Arzt weniger Steuern zahlen. Und wenn die Bafög-Ausgaben des Bundes wie seit Jahren weiter fallen, dann werden sich noch weniger Söhne und Töchter von Verkäuferinnen ein Studium leisten können. Dass die Hochschulen heute schon nicht mehr den Kindern aus allen Schichten offen stehen, ist der eigentliche Skandal – und der wird durch Gebühren nicht behoben, sondern zementiert.
Es ist trotzdem rührend zu sehen, dass die Industrie ihr Herz für Verkäuferinnen entdeckt und die Politik ihre leeren Kassen nun für die Sozialpolitik einsetzen will. Bei so viel so unglaublich ehrlichem Engagement für eine gerechte Welt kommen einem die Tränen. ANDREAS STAETS, Marburg
Vielen Dank, Herr Oppermann, dass Sie uns diesen komplexen Sachverhalt erhellt haben! Studiengebühren sind in Wahrheit sozial, 1.000 Mark pro Semester sind moderat und tragen am Ende noch zur Beschleunigung und Qualitätssteigerung des Studiums bei.
Woher dieser Quantensprung kommen soll, wird aber nicht deutlich. Bereits jetzt ist es quasi unmöglich, innerhalb der Regelstudienzeit sein Studium zu beenden. Da helfen auch Strafgebühren nichts. Dass die meisten Studenten deshalb zu Langzeitstudenten werden, weil sie für ihren Lebensunterhalt arbeiten müssen, unter anderem weil unter Helmut Kohl das Bafög quasi abgeschafft wurde, scheint Sie nicht weiter zu stören. Dass Kinder sozial schwächerer Eltern nur noch unter größten Schwierigkeiten studieren können und dies die eigentliche und skandalöse soziale Ungerechtigkeit ist, Schwamm drüber.
Sie sprechen von zwei bis vier fehlenden Milliarden an den Hochschulen. Wo dieses Loch herkommt, interessiert Sie nicht. Scheinbar ist es ebenso vom Himmel gefallen wie der plötzliche Arbeitskräftemangel in der Computerindustrie. In Wahrheit ist es die Folge jahrelanger verfehlter Bildungspolitik, doch statt an den Ursachen anzusetzen und eine wirkliche Bildungsoffensive zu starten, wird an den Symptomen herumgedoktert. Dazu faselt man dann noch etwas von der internationalen Konkurrenz, womit man dann in einem zweiten Schritt auch die Einrichtung teurer Eliteuniversitäten (und damit die vollständige Privatisierung der Bildung) in Deutschland rechtfertigen kann.
Dieses Argument zu Ende gedacht hieße aber doch, dass der Arztsohn sein Studium inzwischen längst an den tollen USA-Unis absolviert, es also auch nicht mit den Steuern der Verkäuferin finanziert wird.
Letztlich zeigt sich in diesem Interview nur einmal mehr, wie weit die SPD von ihrem Motto „Bildung für alle“ aus den 70ern abgerückt und turbokapitalistischen Argumenten auf den Leim gegangen ist. Damals hatte man in einer expansiven Bildungspolitik ein marktkonformes Mittel zur Herstellung von Chancengleichheit gesehen; Bafög sollte gewährleisten, dass auch sozial schwache Schichten Zugang zu höherer Bildung bekommen. Das war eine an der sozialen Gerechtigkeit orientierte Politik. Sie wollen lediglich Ihre Kapitulation vor der Wirklichkeit als sozial verkaufen!!
STEPHAN KRÜGER, Tübingen
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