Turbine-Trainer über die Dreierkette: "Das ist nur eine Modeerscheinung"
Man muss beim Fußball variabel bleiben, mit Dreier-, Vierer- und Fünferketten, sagt Turbine-Coach Bernd Schröder zum letzten taktischen Schrei auf dem Fußballplatz.
taz: Herr Schröder, sind Sie ein Visionär?
Bernd Schröder: Nein, ich habe nur bestimmte Erfahrungen. Und Visionen sind nicht immer von Erfolg gekrönt. Aber warum fragen Sie?
Die defensive Dreierkette, ein Markenzeichen von Turbine Potsdam, sieht man neuerdings auch bei Barça oder im deutschen Nationalteam.
Das freut mich. Aber alles hängt von den Spielertypen ab. Man braucht gute Defensivkräfte. Und gute Mittelfeldspieler. Wenn sich die Dreierkette in der Mitte zusammenschiebt, wird sie durch Mittelfeldspieler gern mal zur Fünferkette. Wir in Potsdam kommen mit der Dreierkette besser zurecht als mit dem herkömmlichen 4-2-3-1-System. Das ist ein sehr starres System.
Jahrelang wurden Teams mit Dreierkette belächelt, jetzt ändert sich das radikal. Warum?
Pep Guardiola, der Trainer von Barcelona, gibt den Takt vor. Die verändern ja sogar im Spiel ihr System. Das ist die Zukunft. Dieses 4-2-3-1 wird zu dogmatisch umgesetzt, außerdem hat sich doch jeder Gegner auf dieses System eingestellt. Es gibt zig Regalmeter Literatur darüber. Ich weiß nicht, ob der Zuschauer nur sehen will, wie sich Teams mit diesem System gegenseitig neutralisieren. Ich finde, man muss variabler Fußball spielen, mit Dreier-, Vierer- und Fünferkette hinten. Je nach Situation.
ist seit 1971 Trainer des 1. Frauenfußballclubs Turbine Potsdam und seit Juni Träger des Bundesverdienstkreuzes am Bande. Der 69-Jährige Sachse gewann sechs DDR-Meisterschaften, fünf gesamtdeutsche Titel, Uefa-Cup und Champions League. Seit Jahren setzt er eine Dreierkette in der Defensive ein und wurde deswegen oft belächelt. Jetzt gilt er als Vorreiter. Schröder ist der letzte DDR-Fußballtrainer, der noch immer denselben Verein betreut.
Mit einer Dreierkette wird das Spiel also besser?
Ja, aber man sollte dann auch mit drei Stürmern spielen. Im Nationalteam waren es gegen die Ukraine ja nur 1,5. Und im Mittelfeld waren durch das Überangebot an Spielern die Verantwortlichkeiten nicht klar. Je mehr Spieler ich in der Fläche habe, desto unklarer ist die Abstimmung.
In der Fläche?
Auf einer Linie, meine ich damit. Man hat nicht gestaffelt gestanden.
Aber wenn die Dreierkette gestaffelt steht, dann hätten wir ja einen Libero.
Nein, es geht um die Staffelung im Mittelfeld. Heutzutage geht es im Fußball doch darum, unberechenbar zu sein und Überraschungseffekte einzustreuen. Man muss kreativer sein, gerade dann, wenn der Gegner per Videoanalyse fast jede Passfolge kennt.
Ist die Dreierkette eine kurzlebige Modeerscheinung?
Glaube ich schon, denn wir haben nicht die Qualität der Defensivspieler, auch nicht im DFB-Team. Jogi Löw hat im Moment keine drei Abwehrspieler, die das Format, sprich Schnelligkeit, Intellekt und Kreativität für eine Dreierkette hätten. Das Zeug hat eigentlich nur ein Philipp Lahm. Man probiert jetzt die Dreierkette aus, weil man das Gefühl hat, man ist mit dem 4-2-3-1-System festgefahren. Die Fans wollen auch mal was anderes sehen.
Mehr Tore?
Man hat es im Handball gesehen. Der Sport stagnierte jahrelang. Als die schnelle Mitte (der schnelle Anwurf im Mittelkreis nach Torerfolg, ohne dass der Schiedsrichter den Ball freigeben muss; d. Red.) kam, da wurden plötzlich viel mehr Tore erzielt und das Spiel wurde insgesamt attraktiver. Sie können nicht immer nur den gleichen lahmarschigen Fußball spielen.
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