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Türöffner zum Gen-Paradies

Kiechle und Bangemann machen EG-Pestizid-Richtlinie zum Präzendenzfall für neue Gentechnologie-Politik der Gemeinschaft/ Nationale Vorschriften über Freisetzung genmanipulierter Lebewesen sollen über Brüssel ausgehebelt werden  ■ Aus Brüssel Michael Bullard

Zu Tausenden ziehen die bäuerlichen Giftspritzer derzeit wieder ihre Bahnen. Hunderttausende von Tonnen sogenannten Pflanzenschutzmittels werden per Traktor oder Flugzeug alljährlich in Europa „ausgebracht“. Folge des chemischen Feldzugs gegen Insekten, Pilzbefall und Unkraut: Nicht nur das Grundwasser, Fische und das Wild werden vergiftet, vor allem der Mensch ist Opfer der Pestizid-Attacken.

Weil Umweltverbände und Konsumentenorganisationen gegen die systematische Massenvergiftung protestierten, fing die Europäische Gemeinschaft vor knapp zwei Jahren an, sich dem Skandal zu widmen. Das Resultat ist eine „Richtlinie über das Inverkehrbringen von EWG-zugelassenen Pflanzenschutzmitteln“. Sie soll am Dienstag vom EG-Landwirtschaftsministerrat verabschiedet werden.

Die gute Nachricht: Man will die Verwendung chemischer Pestizide verringern. Die schlechte Nachricht: Die Vermarktung gentechnisch hergestellter Unkraut- und Insektenvernichtungsmittel soll gefördert werden — als Alternative zu den in Verruf geratenen chemischen Giften. Vor allem gentechnisch dressierte Killer-Viren und Bakterien sollen auf „biologische“ Weise Raupen, Käfern und Würmern den Garaus machen, die sich an bestimmten Pflanzen laben. Mit der gleichen Methode will man in Zukunft auch den „Un“kräutern das Handwerk legen.

Der letzte Schrei sind allerdings von gentrunkenen Wissenschaftlern kreierte Tomaten und Kartoffeln, die Insektenvernichtungsmittel gleich in sich tragen. Einerlei, ob die obszönen Zwitter letztendlich als „Pestizide“ oder „Gemüse“ rangieren, ein Riesengeschäft werden sie allemal: Sind es heute noch rund fünf Milliarden Mark, die weltweit mit dem Verkauf gentechnisch hergestellter Lebensmittel und Pestizide verdient werden, so erwartet das Agro-Busineß im Jahre 2000 bereits Einnahmen von etwa achtzig Milliarden. Doch trotz der unkalkulierbaren Risiken, die bei Freisetzungen genmanipulierter Organismen in diesen Größenordnungen auftreten, basteln Eurokraten bereits an einem breitgefächerten Förderprogramm.

Als Türöffner zum Gen-Paradies dient den High-Tech-Fans dabei die Pestizid-Richtlinie. Denn sie ist das erste von mehreren EG-Gesetzen, mit denen die Vermarktung von Produkten wie Lebensmitteln oder Medikamenten erleichtert werden soll, die entweder selbst gentechnologisch manipulierte Organismen sind oder diese beinhalten. Die Pestizid- Richtlinie ist Testfall für das von den EG-Kommissaren vor vier Wochen verabschiedete Grundsatzdokument zur Gentechnologie. Um die Wettbewerbsfähigkeit dieses „Industriezweigs der Zukunft“ (Eigenwerbung) zu fördern, hatten die Eurokraten auf Initiative des Binnenmarktkommissars Martin Bangemann beschlossen, der Gen-Tech- Industrie „nicht unnötige Gesetzesbürden aufzulasten“. Diese Bürden sind die vor Jahresfrist verabschiedeten EG-Richtlinien für die Freisetzung von gentechnisch manipulierten Lebewesen in die Umwelt und für den Umgang mit ihnen in geschlossenen Laboren. Diese Richtlinien entsprechen in etwa dem bundesdeutschem Gen-Gesetz.

Weil sie der Industrie ein Dorn im Auge sind, sollen die EG-Gesetze ausgehebelt werden, noch bevor sie von den Mitgliedsstaaten in nationales Gesetz umgesetzt wurden. Das gilt insbesondere für das bundesdeutsche Gen-Gesetz. Nach dem von der EG-Kommission vor vier Wochen verabschiedeten Konzept werden diese EG-Gen-Richtlinien zwar bestehen bleiben, ihre Vorschriften zur Freisetzung, die auch die Vermarktung beinhalten, sollen jedoch umgangen werden können. Die Eurokraten setzen statt dessen auf Gesetze, die nicht den Forschungs- und Herstellungsprozeß, sondern das Endprodukt — Medikamente, Lebensmittel oder eben Pestizide — im Auge haben. Die Zulassungskriterien für die kommenden produktorientierten Richtlinien sind allerdings nicht speziell auf gentechnische Verfahren zugeschnitten, sondern allgemein auf Pestizide abgestimmt. Sie ersparen der Industrie also aufwendige und teure Tests und Kontrollen.

Nachdem die taz in ihrer Ausgabe vom 17. April auf diese Entwicklung aufmerksam machte, beschwerte sich Kommissar Bangemann, er würde auf eine Ebene mit Verbrechern gestellt. Er wolle „nicht die Schutzvorschriften beseitigen“, sondern „zusätzliche Bedingungen für einzelne Produkte und deren Zulassung“ schaffen. Dies allerdings steht in krassem Widerspruch zu Formulierungen des Pestizid-Gesetzentwurfes, der jetzt dem Ministerrat vorliegt. In dem Abschnitt, der sich mit der Behandlung von genmanipulierten Pestiziden beschäftigt, wird zwar Bezug genommen auf die allgemeinen EG-Richtlinien über die Freisetzung gentechnisch manipulierter Lebewesen. Deren Vorschriften, die die Vermarktung dieser Organismen EG-weit regeln sollen, sind jedoch gestrichen. Für gentechnologisch hergestellte Pestizide gelten demnach dieselben Vorschriften, wie für chemisch hergestellte.

Immerhin wollen die Minister die EG-Kommission auffordern, innerhalb von zwei Jahren Vorschläge zu erarbeiten, wie die Vermarktungsvorschriften der Gen-Gesetze wieder in die Pestizid-Richtlinien integriert werden können. Damit übergehen sie allerdings die EuropaparlamentarierInnen, die noch im Januar bei Verhandlungen mit der EG- Kommission durchgesetzt hatten, daß eine Aufhebung der Vorschriften nicht in Frage käme. In der Zwischenzeit ist der zuständige Kommissar Ray Mac Sharry allerdings von seinem Kollegen Bangemann und Bundeslandwirtschaftsminister Ignaz Kiechle unter Druck gesetzt worden. Mac Sharry wiederum versucht dieser Tage, den im Parlament zuständigen Vorsitzenden des Umweltausschusses, Ken Collins, zu einem Zugeständnis zu bewegen. Schließlich würde die Initiative der Gen- Tech-Fans ins Stocken geraten, wenn es zu keinem Hinterzimmer- Deal käme. Denn prozedualrechtlich ist Einstimmigkeit im Ministerrat erforderlich, wenn Kommission und Parlament einer Meinung sind, der Ministerrat einen Gesetzentwurf jedoch — wie in diesem Falle — abändern möchte. Käme es soweit, hätten die von Kiechle und Bangemann favorisierten Änderungsvorschläge allerdings keine Chance, angenommen zu werden, weil sich der italienische Landwirtschaftsminister auf die Seite der dänischen Gen-Kritiker im Ministerrat geschlagen hat.

Vieles wird also von Collins' Standhaftigkeit abhängen. Der schottische Abgeordnete steht jedoch im Ruf, unter einer Decke mit der Gen-Mafia in den EG-Institutionen zu stecken. Um nun einen Deal in letzter Minute zu verhindern, wollen die EuropaparlamentarierInnen heute auf Initiative der Grünen die die EG-Kommission auffordern, sich an die Abmachungen zu halten und dem Druck der Gentechnologie- Fans im Ministerrat zu widerstehen. Schließlich handelt es sich in ihren Augen bei der Pestizid-Richtlinie um einen Präzedenzfall: Bereits in den kommenden Monaten will Bangemann eine Verordnung vorlegen, mit der auch gentechnisch gefertigten Lebensmitteln — „Novel Food“ — nach dem gleichen Muster EG-weit zum rechtlichen Durchbruch verholfen werden soll.

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