Bauprojekt „Urbane Mitte“: Die Türme bleiben noch am Boden
Beim Vorhaben Urbane Mitte Süd hängt es: Die SPD hat Probleme mit dem Bebauungsplan. Scheitern könnte die Klage der Investorin gegen einen Kritiker.

taz | Das Bauvorhaben „Urbane Mitte“ am Rand des Gleisdreieck-Parks ist seit Jahren umkämpft. Sieben bis zu 90 Meter hohe Bürotürme sollen hier gebaut werden. Ginge es nach dem Senat, sollten zumindest die Pläne für den südlichen Teil des Baufelds längst final genehmigt sein. Doch Teile der SPD-Fraktion hadern damit, dass die bisherige Planung kein Wohnen vorsieht. Gibt es hier keine Einigkeit, gibt es auch erst einmal kein Baurecht. Gleichzeitig überzieht die Investorin des Projekts Kritiker:innen mit Unterlassungsklagen. Zumindest hier ist eine erste Entscheidung bald absehbar.
Das Bauvorhaben hat eine langjährige Vorgeschichte: Die Planungen gehen auf einen sogenannten städtebaulichen Rahmenvertrag zurück, der 2005 zwischen dem Land, dem Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg und einem Tochterunternehmen der Deutschen Bahn geschlossen wurde. Basierend auf diesen Zielen wurde nach einem städtebaulichen Wettbewerb 2015 ein Entwurf ausgewählt, der den Bau von sieben Hochhäusern vorsieht. Besitzerin des Baufelds ist seit 2020 die luxemburgische Fondgesellschaft Urbane Mitte Besitz S.A.R.L.
Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg, bei dem die Planungshoheit für das Projekt lag, äußerte 2023 Zweifel an dem Vorhaben. Vor allem die Bereiche Nachhaltigkeit und Wohnraum sollten noch einmal besprochen werden. Im Januar 2024 forderte die Bezirksverordnetenversammlung (BVV), die Pläne noch einmal „neu zu denken“. Dazu kam es jedoch nicht mehr: Kurz darauf entzog der Senat dem Bezirk die Planungshoheit für den südlichen, in diesem Jahr dann auch für den nördlichen Bereich.
Im Sommer 2025 dann beschloss der Senat zur Freude der Projektentwickler den Bebauungsplan für den südlichen Teil. Hier sollen zunächst zwei der sieben Hochhäuser gebaut werden – eines 25 Meter, das andere 49 Meter hoch. Insgesamt 23.750 m² Geschossfläche für Büro-, sonstige Gewerbe- und Freizeitnutzungen sollen entstehen.
Kritik am Bebauungsplan
Die bisher geäußerte Kritik am Bauvorhaben betrachtet der Senat als ungerechtfertigt. Er argumentiert, dass man 2005 vertragliche Pflichten eingegangen sei, die jetzt zu erfüllen seien. Einer der entscheidenden Punkte bei der Diskussion um die Bebauung ist ein im städtebaulichen Rahmenvertrag festgelegter Ausgleichsmechanismus. Der besagt, dass die Investorin Anrecht auf Entschädigung hat, sollten die festgelegten Bebauungsziele nicht erreicht werden.
Zwei Gutachten widersprechen dem allerdings. Beide kommen zu dem Schluss, dass der Entschädigungsmechanismus nicht mit dem Baurecht vereinbar sei. Eines der Gutachten wurde von der Bürger:inneninitiative Aktionsgemeinschaft Gleisdreieck und den Naturfreunden Berlin in Auftrag gegeben, das zweite erstellte der Rechtsanwalt Jörg Beckmann für die BVV. Anders als von den Bezirksverordneten in der Vergangenheit befürchtet wurde, bedeutet eine Veränderung der Pläne demnach nicht, dass eine Entschädigung geleistet werden müsste.
Das bestärkt die Aktionsgemeinschaft Gleisdreieck in ihrer Forderung, das Baufeld noch einmal komplett neu zu planen. Sie kritisiert seit Jahren, dass sich das Bauvorhaben nicht nach den Bedürfnissen der Bevölkerung richte. Stattdessen würden einzig die Wünsche der Investoren berücksichtigt.
Als Mitglied der Gruppe informiert der Anwohner Matthias Bauer auf seinem Blog detailliert, warum die Bürger:inneninitative das Vorhaben ablehnt. Kritisiert werden negative Auswirkungen auf Klima-, Natur-, Arten- und Denkmalschutz sowie mögliche Bodenspekulationen. Derzeit klagt die Investorin Urbane Mitte Besitz gegen Bauer und die Initiative auf Unterlassung.
Die Verhandlung gegen Bauer fand Mitte Oktober vor dem Landgericht statt. Konkret geht es um einen Blog-Beitrag aus dem September 2024: Dort wird ein Flugblatt zusammengefasst, das mehrere Kritikpunkte am Bauvorhaben aufzählt. Außerdem beanstandet wird ein im Blog wiedergegebenes Zitat aus dem Gutachten von Anwalt Beckmann. Es legt nahe, dass die Urbane Mitte Besitz angekündigt habe, besagten Ausgleichsmechanismus anwenden zu wollen.
Nicht die erste Unterlassungsklage
Es ist nicht das erste Mal, dass die Investorin gegen dieses Zitat vorgeht. Auch gegen Jörg Beckmann bemüht sie eine Unterlassungsklage. „Dass auf Grundlage des Äußerungsrechts gegen mich vorgegangen wird, habe ich auch noch nicht erlebt“, sagt Beckmann der taz. Bereits drei Verfahren in diesem Fall seien zu seinen Gunsten entschieden worden. Doch das Unternehmen ist ausdauernd: Laut Beckmann steht Anfang kommenden Jahres ein viertes Verfahren an. Dazu äußern wollte sich die Urbane Mitte Besitz auf taz-Anfrage nicht.
Sie wird wohl auch im Fall Bauer eine Niederlage einstecken müssen: Die Richterin führte im Prozess aus, dass sie den betreffenden Blogpost größtenteils von der Meinungsfreiheit gedeckt sieht. Das Urteil soll am Freitag bekanntgegeben werden. Der Anwalt des Unternehmens hat bereits angekündigt, im Falle einer Niederlage Berufung vor dem Kammergericht einzulegen.
Für Bauer bedeutete schon das aktuelle Verfahren viel Stress: „Der Prozess hat mich Zeit und Nerven gekostet“, sagt er der taz. Zudem kommt der Prozess für die Aktivist:innen zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt. Eigentlich wollen sie ihre Kräfte gerade darauf bündeln, die Fraktionen im Abgeordnetenhaus doch noch von ihrer Kritik am Bauprojekt zu überzeugen, praktisch im allerletzten Moment. Mit mehreren von ihnen haben sie sich in letzter Zeit getroffen.
Die SPD hadert
Unter anderem ist die Initiative beim stellvertretenden SPD-Landesvorsitzenden Mathias Schulz vorstellig geworden. Schulz ist Sprecher der SPD-Fraktion für Stadtentwicklung und sitzt im entsprechenden Fachausschuss. Den müssen die Bebauungspläne für die Urbane Mitte Süd passieren, bevor das Parlament final darüber entscheiden kann. Dass das Projekt dort noch gar nicht auf der Tagesordnung gelandet ist, liegt an den Bauchschmerzen der SPD.
„Großes Unbehagen“ verspüre man, weil dauerhaftes Wohnen nicht Teil des Bebauungsplans sei, sagt Schulz der taz. Aktuell diskutiere man über Möglichkeiten, doch noch Wohnraum in der Urbanen Mitte zu schaffen. Die bisherige Argumentation des Senats und der Projektentwickler, dass das unter anderem wegen der Lärmbelastung im Bebauungsgebiet gar nicht möglich sei, hält Schulz nicht für ausreichend.
Gerade bei diesem Aspekt könnte sich bald etwas ändern: Anfang Oktober kommt der von der Bundesregierung beschlossene „Bau-Turbo“. Das Gesetz ermöglicht Wohnungsbau bei ausreichender Begründung auch in einem über dem bisher zulässigen Lärmniveau liegenden Bereich. Wie genau sich das auf die Urbane Mitte auswirkt, ist bisher unklar.
Mehrere Szenarien denkbar
Grundsätzlich sind nun mehrere Szenarien denkbar: Zum einen könnte der Beschluss des Bebauungsplans mit Auflagen verbunden werden und zum Beispiel den Bau von Wohnungen im nördlichen Teil der Urbanen Mitte zur Bedingung machen. Falls die Abgeordneten dagegen zu dem Schluss kommen, dass die Pläne eine tiefgreifendere Überarbeitung brauchen, müsste der Senat noch einmal ran. Dann zöge sich der ganze Prozess weiter in die Länge.
Ein Sprecher der Projektentwicklerin Periskop Development GmbH, die im Auftrag der Urbane Mitte Besitz handelt, geht nicht davon aus, dass die Bebauungspläne abgelehnt werden können. Entsprechend gab er der taz auch keine Auskunft darüber, was eine zeitliche Streckung der Planung für das Unternehmen bedeuten würde. Im Raum standen mögliche Liquiditätsprobleme, über die zunächst der Tagesspiegel berichtete. Das beruhe auf falschen Annahmen, so der Sprecher.
Bis sich Fraktion und Senat geeinigt haben, geht es mit dem Bebauungsplan Urbane Mitte Süd erst einmal nicht weiter. Auch auf der Tagesordnung der kommenden Sitzung des Stadtentwicklungsausschusses am 10. November steht der Punkt bisher nicht.
Die Forderungen der Aktionsgemeinschaft Gleisdreieck hat sich Mathias Schulz angehört. Den Wunsch nach kompletter Neuplanung hält er nicht für ausreichend durchdacht. „Gar nicht bauen kann auch nicht die Lösung sein“, sagt er. Das Vorgehen der Investorin gegen Bauer und die Initiative verurteilt er jedoch deutlich: „Wer Projekte dieser Größe plant, muss auch zivilgesellschaftlichen Widerstand aushalten können.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert