Türkische Väter gegen Betreuungsgeld: "Sie müssen Deutsch können"
Widerstand gegen das geplante Betreuungsgeld kommt nun auch von den Betroffenen selbst: Türkische Eltern aus Berlin wollen mehr Geld für Schulen und Kindertagesstätten.
Heinz Buschkowsky, SPD-Bürgermeister von Berlin-Neukölln und vehementer Gegner des geplanten Betreuungsgeldes für daheim erziehende Eltern, bekommt Unterstützung von türkischen Eltern. Am Montag kündigte die türkische Vätergruppe Neukölln ihren Widerstand an, insbesondere gegen die 150 Euro Betreuungsgeld, die ab 2013 an die Eltern gezahlt werden sollen, die ihre Kleinkinder nicht in die Kita bringen.
"Die meisten Familien werden der Verlockung des Geldes erliegen und ihre Kinder von den Kindergärten abmelden", befürchtet Psychologe Kazim Erdogan, der die Gruppe leitet. "Wir wissen, dass viele Mütter mit Migrationshintergrund keine ausreichende Bildung haben, um ihre Kinder auf die Schule vorzubereiten. Deshalb sollte der Staat in die Bildung unserer Kinder investieren und keine Almosen verteilen."
In der türkischen Vätergruppe treffen sich seit 2007 etwa 45 Männer. Viele müssen die Trennung von ihrer Frau verarbeiten, einige leben von Hartz IV. Der eine ist alleinerziehender Vater von zwei Söhnen, der andere sieht seine Töchter nur zweimal pro Woche, der dritte hat eine Tochter in der Türkei und einen Sohn in Deutschland und weiß nicht, ob er nicht bald abgeschoben wird – Situationen, denen Berkan O., Cihan B. und Aydin B. sich nicht gewachsen fühlten und die sie in die Gruppe führten. "Welche Fehler haben wir gemacht, wie können wir es besser machen, ohne uns gleich so aufzuregen", darüber reden wir, beschreibt Cihan B. ihre Arbeit.
Ihren Kindern wollen sie alle einen besseren Start ins Leben ermöglichen. "Sie müssen lernen, mit anderen besser umzugehen. Und sie müssen Deutsch können", so eine ihrer Erkenntnisse. Weg vom heimischen türkischen Fernsehprogramm, rein in die Kitas und Schulen, meinen sie. Und fordern deshalb ein Umsteuern in der Familienpolitik.
Das Betreuungsgeld nennt einer von ihnen schlicht "eine Volksverdummung". Cihan B. sagt: "Wenn jemand sechs Kinder hat, der kann mit Kindergeld und dem neuen Betreuungsgeld richtig viel Unterstützung bekommen. Die fragen sich: Warum Kitagebühren bezahlen, wenn wir für das Zuhausesein so viel Geld bekommen?"
Auch türkische Mütter hätten sich ihren Forderungen angeschlossen, betonen die Männer. Sie könnten bei der Pressekonferenz nicht sprechen. Es seien Kitaferien, und die Kinder müssten zu Hause betreut werden. Dafür meldet sich ein Großvater mit Strickjacke und Schnurrbart aus dem Publikum zu Wort - auf Türkisch: "Als ich vor 41 Jahren kam, arbeitete und wohnte ich nur mit anderen Türken zusammen. Niemand hat gesagt, dass wir Deutsch lernen sollen. Heute bereue ich das sehr. Wir Älteren leiden darunter. Wir wollen nicht, dass unsere Enkel auch leiden." Aber auch die Mütter würden mit diesem Geld "dazu verdammt, Hausfrau zu sein", weil sie nach vielen Jahren zu Hause keine Arbeit mehr finden würden, meint er. Vor allem aber wollen die Väter und Mütter, dass die Schulen und Kitas besser werden. Das Geld solle in die Förderung der Kinder gesteckt werden.
Auch die zum 1. Januar beschlossene Kindergelderhöhung hält die Gruppe für falsch. Sie sollte 2011 wieder rückgängig gemacht werden, fordern die Väter. "Die Mittelschicht braucht keine 20 Euro mehr", so Psychologe Erdogan. "Wenn man diese 20 Euro pro Kind den Schulen geben würde, dann könnten die gesundes Essen subventionieren, armen Kindern die Ausflüge und Klassenfahrten bezahlen und die Schüler individuell fördern." Die Besserverdienenden sollten sich mit der Unterschicht solidarisieren, anstatt die Spaltung weiter voranzutreiben, forderte er. "Ich spende meine Kindergelderhöhung - und ich hoffe", sagt er zu den JournalistInnen im Raum, "Sie tun das auch!"
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag