Türkische Linksradikale vor Gericht: Streit um EU-Terrorliste
Die Verteidiger im Prozess gegen türkische Linksradikale verbuchten einen Erfolg beim Europäischen Gerichtshof. Die Angeklagten sollen Geld für die Untergrundorganisation DHKP-C gesammelt haben.
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FREIBURG taz | Drei türkische Linksextremisten, die in Düsseldorf vor Gericht stehen, hoffen auf die Wende im zur Zeit größten deutschen Terrorprozess. Ihre Verteidiger haben die sofortige Entlassung aus der U-Haft gefordert. Sie berufen sich auf ein neues Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), der letzte Woche die EU-Terrorliste teilweise entschärft hat.
Angeklagt sind Achmet Istanbullu, Nurhan Erdem und Cengiz Oban, weil sie hochrangige Kader der türkischen Organisation DHKP-C (früher Dev Sol) sein sollen. Die marxistisch-leninistische Organisation verübt regelmäßig Anschläge in der Türkei, auch Selbstmordattentate. In Deutschland sollen die drei Türken insgesamt mehr als eine Million Euro gesammelt und an die DHKP-C weitergeleitet haben. Seit 20 Monaten sitzen sie in Untersuchungshaft, seit März läuft der Prozess am OLG Düsseldorf.
Anwältin Britta Eder hält die Anklage für skandalös. "Wir befürchten, dass hier ein neues Mittel der Kriminalisierung unliebsamer politisch tätiger Menschen erprobt werden soll", sagte sie zu Prozessbeginn. Sie ist empört, weil die Bundesanwaltschaft den drei Angeklagten nicht nur die Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung vorwirft (§ 129b Strafgesetzbuch). Vielmehr liegt laut Anklage auch ein Verstoß gegen das Außenwirtschaftsgesetz (AWG) vor – denn die drei hätten Geld an eine Organisation übergeben, die auf der EU-Terrorliste steht.
Die Terrorliste wird seit 2001 vom EU-Ministerrat halbjährlich aktualisiert und erlaubt das Einfrieren von Konten terrorverdächtiger Organisationen. Dass die Terrorliste nun auch für individuelle Strafverfolgung benutzt wird, hält Anwältin Eder für einen "Präzedenzfall".
Die Bundesanwaltschaft kann dagegen kein Novum erkenne : "Wir haben schon oft nach dem Außenwirtschaftsgesetz angeklagt, wenn Gruppen von der Terrorliste, etwa Al Qaida oder Ansar al Islam, materiell unterstützt wurden". Die Oberlandesgerichte in München und Koblenz haben das schon akzeptiert. Eine Bestätigung des Bundesgerichtshofs steht aber noch aus.
Einen Erfolg konnte die Verteidigung jedoch letzte Woche in Luxemburg erzielen: Der EuGH stellte fest, dass die EU-Terrorliste bis Mitte 2007 gar nicht als Grundlage für Strafverfahren dienen konnte, da die Aufnahme einer Organisation auf die Liste bis dahin nicht begründet wurde.
Britta Eder fordert für die drei DHKP-C-Angeklagten deshalb eine sofortige Beendigung der Untersuchungshaft. Die Straferwartung sei nun "wesentlich reduziert", so die Anwältin. Das Oberlandesgericht Düsseldorf will im Lauf dieser Woche über den Antrag auf Haftentlassung entscheiden.
Doch die Bundesanwaltschaft hat noch viele Pfeile im Köcher. So bleibt der Vorwurf eines AWG-Versoßes erhalten, weil die DHKP-C ja auch nach Mitte 2007 noch auf der EU-Terrorliste stand und auch in dieser Zeit Geld an die DHKP-C übergeben wurde. Außerdem wird den drei Angeklagten auch die langjährige aktive Mitgliedschaft in der Organisation vorgeworfen.
Die Verteidigung weist aber auch diese Vorwürfe zurück. Die drei Angeklagten hätten sich nur legal betätigt, so Anwältin Eder, in Kulturvereinen und bei der Soliarbeit für politische Gefangene in der Türkei. Es sei nicht bewiesen, dass erwirtschaftetes Geld an die DHKP-C übergeben wurde.
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